Produktivität in Europa

Schnabel schlägt für mehr Wirtschaftswachstum EU-Reform vor

Europa hat nach Ansicht von EZB-Direktorin Isabel Schnabel zu wenig große und staatenübergreifend tätige Firmen. Eine Reform im Unternehmensrecht könnte dies ändern und ein „Game-Changer“ für die Produktivität werden.

Schnabel schlägt für mehr Wirtschaftswachstum EU-Reform vor

Schnabel schlägt für mehr Wachstum EU-Reform vor

EZB-Direktorin rät zu einheitlichem Rechtsrahmen für innovative Unternehmen sowie Aufweichung des Einigkeitsprinzips

mpi Frankfurt

EZB-Direktorin Isabel Schnabel sieht die Unternehmensstruktur in Europa als Hemmschuh für ein höheres Potenzialwachstum. Würde es mehr größere und europaweit tätige Unternehmen geben, hätte dies „signifikante Auswirkungen auf die Produktivität“, sagte sie auf einer Konferenz der EZB in Frankfurt. Die unterschiedlichen Gesetze in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten erschwerten es den Firmen jedoch, staatenübergreifend aktiv zu sein.

Daher unterstützt Schnabel eine Idee der EU-Kommission für einen einheitlichen Rechtsrahmen für innovative Unternehmen. „Das wäre ein wahrer Game-Changer“, sagte sie. Die Idee der Kommission sieht einen EU-weiten Rechtsrahmen vor, den Unternehmen optional anwenden können anstelle weiterhin existierender nationaler Regelungen. Davon betroffen sein sollen Bereiche wie Gesellschafts-, Insolvenz- und Arbeitsrecht sowie steuerliche Regelungen.

Fehlender Fokus

Bis Ende des Jahres will die Kommission einen konkreten Vorschlag dazu vorlegen. Die Umsetzung könnte schwierig werden, räumt Schnabel ein. Schließlich seien Anpassungen besonders am Arbeitsrecht eine heikle Angelegenheit. Die EU müsse den Spagat schaffen zwischen mehr Flexibilisierung für die Unternehmen, um Innovationen stärker zu fördern, und dem Schutz von Arbeitnehmerrechten.

Um insgesamt politisch schneller voranzukommen bei Projekten, hält Schnabel es für wünschenswert, wenn bei weniger Themen ein Einstimmigkeitsprinzip gilt. „Koalitionen von Willigen“ sollten stärker die Möglichkeit haben, bei verschiedenen Angelegenheiten vorzupreschen.

Die EZB-Direktorin vermisst zudem einen Fokus in der Politik. So enthält etwa der viel beachtete Draghi-Report zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Europas 170 Empfehlungen und 383 Ideen. Hier sollte die EU laut Schnabel eine handvoll Aspekte identifizieren, die sie als die wichtigsten erachtet und diese dann umsetzen, anstatt auf zu vielen Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. „Ich bin aber positiv überrascht, dass der Draghi-Report in der Politik überhaupt so viel Beachtung gefunden hat“, sagte Schnabel. Laut einer Analyse des European Policy Innovation Councils (Epic) hat die Politik bislang 11% der 383 Ideen voll umgesetzt.

Zweifel an nachhaltigen Wachstumsimpulsen

In Deutschland ruhen die Hoffnungen vieler auf den wachstumssteigernden Effekten der Lockerung der Schuldenbremse für Rüstungsausgaben sowie dem Sondervermögen für Infrastruktur. Ökonom Volker Wieland, der dem wissenschaftlichen Beraterkreis des Bundeswirtschaftsministeriums angehört, hat da jedoch so seine Zweifel. „Schulden machen für Waffen und Infrastruktur reicht nicht aus, um Wachstum zu schaffen“, sagte er bei einer gemeinsamen Veranstaltung der Bundesbank und der Ludwig-Erhard-Stiftung.

Wieland verweist auf die Zeit nach der Wiedervereinigung. Damals habe die Bundesrepublik auch massiv in Infrastruktur investiert. Das Wirtschaftswachstum sei „maximal drei, bis vier Jahre“ dadurch gestiegen, nachhaltige Effekte auf das Produktivitätswachstum hätte es nicht gegeben. Entscheidender für das Potenzialwachstum hierzulande seien politische Reformen. Den Willen dafür vermisst er aber – auch in der Gesellschaft. „Ich habe nicht das Gefühl, dass in der Bevölkerung weit verbreitet ist, dass wir uns in einer Strukturkrise befinden.“

Schmerzhafte Einschnitte

Eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach von Ende August stützt und widerspricht Wielands Einschätzungen. Ihr zufolge sehen die Deutschen durchaus, dass sich dringend etwas ändern müsse. 73% stimmten der Aussage „Wir müssen endlich die Reform-Hausaufgaben machen, über die wir schon so lange reden“, zu. Zu schmerzhaften Einschnitten in Folge von Reformen ist jedoch nur eine Minderheit bereit. Nicht mal jeder Vierte hält etwa ein höheres Renteneintrittsalter oder eine längere Wochenarbeitszeit für akzeptabel. Weniger staatliche Leistungen befindet jeder dritte Befragte für vertretbar.