NOTIERT IN BRÜSSEL

Sorgen um deutschen Einfluss in Brüssel

Lange wurde nach der Europawahl in Brüssel um die Besetzung der EU-Topjobs gestritten. Und noch länger war vorher schon in Deutschland darüber diskutiert worden, auf welche der offenen Stellen sich die Bundesregierung in ihrem Politlobbying...

Sorgen um deutschen Einfluss in Brüssel

Lange wurde nach der Europawahl in Brüssel um die Besetzung der EU-Topjobs gestritten. Und noch länger war vorher schon in Deutschland darüber diskutiert worden, auf welche der offenen Stellen sich die Bundesregierung in ihrem Politlobbying konzentrieren sollte, um in den nächsten Jahren einen möglichst großen Einfluss in Europa geltend machen zu können. Herausgekommen ist bekanntlich die erste deutsche Führung der EU-Kommission seit mehr als einem halben Jahrhundert; genauer: seit Walter Hallstein, dem ersten Vorsitzenden der damaligen Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Doch kaum hat Ursula von der Leyen ihr Amt als neue Präsidentin der Brüsseler Behörde angetreten, ist die Diskussion um den deutschen Einfluss wieder neu aufgeflammt. Das Magazin “Politico” berichtete bereits in einem großen Artikel über “Deutschlands Von-der-Leyen-Problem”. Deutsche Beamte, Gesetzgeber und Lobbyisten in Brüssel und auch in Berlin stellten sich auf einen erheblichen Einflussverlust ein, hieß es hier. *Hintergrund dieser These, die derzeit auf den Brüsseler Fluren immer wieder geäußert wird, ist das Amtsverständnis von der Leyens. Die CDU-Politikerin präsentiert sich seit ihrer Nominierung als Europäerin, die ihre nationale Brille abgelegt hat, und verlangte dies auch wiederholt von ihren Kommissaren. Von der Leyen tut bislang alles, um den Eindruck zu vermeiden, sie bevorzuge in irgendeiner Art und Weise Deutschland oder die Deutschen oder sei in Brüssel, um deutsche Interessen durchzusetzen. Als Präsidentin der Kommission steht sie diesbezüglich ja ohnehin unter einer ganz anderen Beobachtung als einer ihrer Kommissare. Und so muss sich die deutsche Community in Brüssel erst einmal daran gewöhnen, dass es so einen Ansprechpartner wie Günther Oettinger im Führungsteam der Behörde nicht mehr gibt. Oettinger hatte ja fast eine Dekade lang stets ein offenes Ohr für die Sorgen und Anliegen aus der Heimat gehabt und konnte diese dann an geeigneter Stelle auch thematisieren. *Kritisch wird in Brüssel auch die bislang bekannte deutsche Präsenz in den Kabinetten der Kommissare gesehen, also dem engsten Mitarbeiterstab. Knapp 30 Deutsche sind hier zurzeit auszumachen. Von den oft einflussreichen Kabinettschefs kommen derzeit immerhin vier aus Deutschland, wobei hier vor allem Michael Hager im Team des Exekutiven Vizepräsidenten Valdis Dombrovskis eine wichtige Rolle zukommt. Hager war zuvor Büroleiter von Oettinger gewesen. Von der Leyen hat ihren Kabinettschef Björn Seibert aus Berlin mitgebracht – ihm fehlt derzeit natürlich noch das Netzwerk innerhalb der Mammutbehörde. In wichtigen Kabinetten – wie etwa dem des französischen Binnenmarktkommissars Thierry Breton – fehlen Deutsche bislang völlig. *Hinzu kommt ein altes Problem: Nicht nur auf der Führungsebene sind Deutsche in der EU-Kommission mit ihren rund 32 000 Mitarbeitern unterrepräsentiert. Und das Gleiche gilt auch schon lange für das einflussreiche Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union – der Vertretung der Mitgliedstaaten -, in der auch etwa 3 500 Menschen beschäftigt sind. Im Rat sind nach zuletzt verfügbaren Zahlen beispielsweise 123 Deutsche beschäftigt und damit ungefähr so viele wie Portugiesen oder Rumänen. Länder wie Italien oder Spanien haben hier mehr als 200 Landsleute sitzen. Die Belgier spielen ihren Heimvorteil aus und kommen sogar auf mehr als 440. In der Kommission zeigt sich ein ähnliches Bild: Nicht einmal 7 % der dortigen Beamten kommen aus dem größten EU-Mitgliedsland. Frankreich, Italien, Spanien und – auch hier – Belgien kommen auf einen zum Teil deutlich höheren Anteil. Selbst der Europäische Rechnungshof hat in einem Sonderbericht kürzlich auf die schwache deutsche Präsenz verwiesen: In den Besoldungsgruppen “AD5” bis “AD8” stellten die Deutschen in der Kommission 527 weniger Beamte, als es die Bevölkerungszahl vermuten lassen würde, so die Prüfer.