Tarifkonflikt

Stahlkocher preschen voran

Die IG Metall fordert 8,5 Prozent mehr Lohn und die Vier-Tage-Woche. Gleichzeitig steht sie hinter einem Industriestrompreis zur Entlastung der Industrie. Beide Forderungen sind kaum vereinbar. Experten zeigen sich skeptisch – und erwarten künftig mehr Arbeitskämpfe.

Stahlkocher preschen voran

Stahlkocher preschen voran

Forderung nach kräftigem Lohnplus und Viertagewoche – Arbeitgeber fürchten Überforderung – Auch Ökonomen skeptisch

Die IG Metall fordert für die Stahlkocher 8,5 Prozent mehr Lohn und die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich. Gleichzeitig steht sie hinter einem Industriestrompreis zur Entlastung der Industrie. Beide Forderungen sind kaum vereinbar. Experten zeigen sich skeptisch – und erwarten künftig mehr Arbeitskämpfe.

ast Frankfurt
Von Anna Steiner, Frankfurt

Die Stahlkocher preschen mit ihrer Tarifforderung voran. Die IG Metall fordert 8,5% mehr Lohn und die Viertagewoche bei vollem Lohnausgleich. Das liegt deutlich über dem Schnitt der Abschlüsse anderer Branchen im ersten Halbjahr (siehe Grafik). Die Arbeitgeber wiesen die Forderung empört zurück. Die Betriebe seien angesichts der Krisen und der grünen Transformation ohnehin überfordert. Auch Ökonomen äußern sich skeptisch.

„Druck auf Beschäftigung“

„Diese Arbeitszeitverkürzung wäre der Einstieg in die Viertagewoche, die dadurch in vielen Bereichen möglich wird“, sagte der Bezirksleiter der IG Metall Nordrhein-Westfalen und Verhandlungsführer Knut Giesler. Die Gewerkschaft hat zu den Tarifforderungen nach eigenen Angaben mehr als 11.000 Beschäftigte befragt. Die Ergebnisse fallen – erwartungsgemäß – deutlich aus: 75% der befragten Beschäftigten finden das Thema Arbeitszeitreduzierung bei vollem Entgeltausgleich „eher wichtig“ oder „wichtig“. 69% der Befragten sehen darin zudem ein wichtiges Instrument zur Arbeitsplatz- und Beschäftigungssicherung. Nach einer Übergangsphase werde es in einigen Jahren zum „Druck auf Beschäftigung“ kommen, erklärt Giesler. „Dann braucht es ein Instrument, damit Beschäftigte ihren Arbeitsplatz behalten können.“

Angesichts des akuten Fachkräftemangels wirkt diese Argumentation konstruiert. Wie aus den jüngsten Zahlen des Ifo-Instituts in München hervorgeht, ist der Fachkräftemangel im verarbeitenden Gewerbe mit am stärksten ausgeprägt. Besonders betroffen ist hier die Herstellung von Metallerzeugnissen mit 57% beeinträchtigter Unternehmen. Und auch in der Metallerzeugung und -bearbeitung klagen 42% der Betriebe über mangelndes Fachpersonal. Mit Blick auf die grüne Transformation werden die Arbeitgeber ihrerseits nicht müde, den erhöhten Personalbedarf zu betonen. „Die Beschäftigten sind als Know-how-Träger unverzichtbar“, erklärte der Arbeitgeberverband Stahl als Reaktion auf die Tarifforderungen. Die Industrie benötige zusätzliche, hochqualifizierte Arbeitskräfte zum Einfahren der neuen Anlagen zur klimaneutralen Stahlproduktion. „Eine pauschale Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden hingegen entzieht den Unternehmen diese dringend benötigte zusätzliche Arbeitskraft.“

Eine Frage der Leistbarkeit

Die IG Metall bemüht derweil Argumente, die nicht neu sind. Die Arbeitszeitverkürzung helfe bei der Suche nach Fachkräften, heißt es in der Mitteilung. Da kürzere Arbeitszeiten von Arbeitnehmer gewünscht seien (siehe auch Grafik), seien sie „daher ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Branchen“. Die Lohnerhöhung von 8,5% begründet die Gewerkschaft wenig überraschend mit der hohen Inflation. 72% der von der IG Metall Befragten gaben an, eine Entgelterhöhung sei wichtig, um die Haushaltskasse zu stabilisieren. „Die Stahlbranche kann sich höhere Entgelte leisten“, heißt es von der IG Metall. Die Umsätze der Stahlbranche seien in den letzten Jahren deutlich gestiegen und hätten im vergangenen Jahr sogar das Vor-Corona-Niveau um mehr als 30% übertroffen.

Gleichzeitig wird in Deutschland derzeit heftig über einen Industriestrompreis gestritten. Dieser soll energieintensive Wirtschaftszweige – wie gerade die Stahlindustrie – in Zeiten hoher Energiepreise auf ihrem Weg zur klimaneutralen Produktion entlasten. Auch die IG Metall stellte sich hinter diese Forderung. „Energieintensive Branchen brauchen kurzfristige Unterstützung“, sagte die zweite Vorsitzender der Gewerkschaft, Christiane Benner, nur einen Tag vor Bekanntwerden der Tarifforderungen.

Ökonomen sehen die Viertagewoche kritisch. Ifo-Präsident Clemens Fuest sagte kürzlich, es sei abwegig, in einer Volkswirtschaft, in der Arbeitskräfte immer knapper würden, kürzere Arbeitszeiten auch noch zu fördern. Stattdessen seien Anreize für mehr Erwerbstätigkeit notwendig. Für Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, sind die Forderungen der Stahlkocher eine Machtdemonstration. „Die Forderung der IG Metall nach 8,5% Lohnerhöhung und einer Viertagewoche ist unrealistisch“, sagte Fratzscher der Börsen-Zeitung. Sie zeige „aber auch die zunehmende Macht der Gewerkschaften“. Er beobachte eine Machtverschiebung von der Arbeitgeber- hin zur Arbeitnehmerseite. Die Gewerkschaften dürften immer besser in der Lage sein, ihre Forderungen durchzusetzen. „Ich erwarte eine Zunahme der Arbeitskämpfe und Unterbrechungen des öffentlichen Lebens im kommenden Jahr“, prognostizierte Fratzscher.

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