Tajani neuer Präsident des Europaparlaments
Von Andreas Heitker, BrüsselDer Italiener Antonio Tajani ist neuer Präsident des Europaparlaments. In einem mehr als zehnstündigen Wahlmarathon in Straßburg setzte sich der Jurist, der von der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) ins Rennen geschickt worden war, schließlich in einem vierten Wahlgang gegen seinen sozialistischen Widersacher Gianni Pittella durch. Tajani erhielt in dieser Runde, in der die einfache Mehrheit ausreichte, 351 Stimmen, Pittella nur 282. Allerdings wurden auch 80 Enthaltungen registriert. In den ersten drei Wahlrunden waren auch vier weitere Kandidaten der kleineren Fraktionen angetreten, die aber von vornherein chancenlos waren.Mitentscheidend für den Sieg Tajanis war eine am Vorabend der Wahl geschlossene Vereinbarung der EVP mit der liberalen ALDE-Fraktion. Deren Vorsitzender, der frühere belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt, zog seine Kandidatur daraufhin überraschend zurück und schlug sich auf die Seite von Tajani. Im Gegenzug sicherten sich die Liberalen für die weitere Ämtervergabe im Parlament die Unterstützung der Europäischen Volkspartei. Konservativ-liberaler DealTajani ist damit ab sofort der 15. Präsident des EU-Parlaments und der erste Italiener, der dieses Amt bekleidet. Sein Mandat läuft bis zum Ende der aktuellen Legislaturperiode, also noch zweieinhalb Jahre. Der 63-Jährige hatte ausdrücklich nicht mit einem eigenen politischen Programm um Stimmen geworben. Er will vielmehr – ganz anders als sein Vorgänger Martin Schulz – lediglich das Sprachrohr des ganzen Parlaments sein und seine Belange managen. “Wir brauchen einen Präsidenten und keinen Premierminister”, hatte er kurz vor seiner Wahl noch einmal verkündet. Der Italiener will Sitzungsleiter und Repräsentant sein, überlässt die Politik des Parlaments aber anderen.Tajani hat ebenso wie Schulz bereits 1994 seine Arbeit im EU-Parlament begonnen und kann damit auf mehr als 20-jährige Brüssel-Erfahrungen setzen. Im Europaparlament, dessen Erster Vizepräsident er zuletzt war, gilt er als hervorragend vernetzt. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker würdigte seinen Parteifreund nach der Wahl als einen “überzeugten Europäer”, der sein Amt “mit Eleganz und Know-how” ausüben werde. 20 Jahre EU-ErfahrungTajani ist allerdings sowohl in seiner Heimatstadt Rom als auch in Brüssel umstritten. Denn zum einen ist er ein Vertrauter des früheren italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, war einst sein Pressesprecher und Mitbegründer der Partei Forza Italia. Berlusconi hat im EU-Parlament noch immer einen ausgesprochen schlechten Ruf, nachdem er sich 2003 in einer denkwürdigen Sitzung in Straßburg ziemlich danebenbenommen und Martin Schulz empfohlen hatte, sich in einem Kriegsfilm für die Rolle des Aufsehers in einem Konzentrationslager zu bewerben. Schulz, der die bisherige Zusammenarbeit mit Tajani würdigte, konnte sich daher bei der gestrigen Amtsübergabe die Bemerkung nicht verkneifen: “Sein bester politischer Freund ist sicherlich nicht mein bester politischer Freund.” “Misstrauensvorschuss”Tajani gilt zudem vielen Abgeordneten von Sozialdemokraten, Grünen und Linken als zu industriefreundlich. Von Mai 2008 bis Februar 2010 war Tajani EU-Kommissar für Verkehr. Im Anschluss daran übernahm er bis 2014 das Ressort für Unternehmen und Industrie. Gerade in der Abgasaffäre werfen ihm seine Kritiker ein zu nachgiebiges Verhalten gegenüber der Automobilindustrie vor.”Mit Tajani zurück in die Vergangenheit”, monierten etwa die Linken nach der Wahl. Deren Sprecherin Cornelia Ernst erklärte: “Antonio Tajani steht mit seiner bisherigen Karriere für all das, wofür ein modernes Parlament nicht stehen möchte: spaltendenden, rechtskonservativen Populismus, ein homophobes, ausgrenzendes Menschenbild und eine gefährlich große Industrienähe, die sich in der Vergangenheit auch über geltendes Recht hinwegsetzte.” Tajani trete sein neues Amt mit einem “großen Misstrauensvorschuss” an, bemerkte der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold.