US-Wirtschaft zwischen sinkenden Zinsen und Rezessionssorgen
US-Wirtschaft zwischen sinkenden Zinsen und Rezessionssorgen
Die US-Konjunktur hat der globalen Nachfrageschwäche und Industrierezession im Verlauf des Jahres 2023 unerwartet gut standgehalten. Dafür maßgeblich war vor allem der private Konsum, der gut 70% der gesamten US-Wertschöpfung ausmacht. Doch wie wird sich die US-Wirtschaft im Jahr der Präsidentenwahl entwickeln?
Balanceakt der US-Notenbank
Blickt man auf die Frühindikatoren, zeichnet sich ein gemischtes Bild ab. Im Laufe der kommenden Quartale ist mit einer Konjunkturabkühlung zu rechnen, nicht nur aufgrund der anhaltend negativen Zinsstrukturkurven mit höheren Zinsen bei kurzen Laufzeiten. So rangiert die Erwartungskomponente des Conference-Board-Verbrauchervertrauensindex seit Anfang 2022 fast ausnahmslos unterhalb der Marke von 80 Punkten – ein Niveau, dem im historischen Kontext oftmals eine Rezession folgte. Sowohl die ISM als auch die S&P-Global-Einkaufsmanagerindizes für das verarbeitende Gewerbe signalisieren seit Monaten fast ausnahmslos eine schrumpfende Produktion. Allein die Dienstleistungs-Einkaufsmanagerindizes verharren bisher weiter im expansiven Bereich und konnten zuletzt sogar eine zunehmende Beschäftigung und steigende Neuaufträge vermelden.

Die US-Notenbank Fed hat kurz vor dem Jahresende 2023 zwar die Leitzinsen erwartungsgemäß unverändert belassen, aber trotzdem für eine Überraschung gesorgt. Denn die eigenen Projektionen für die Fed Funds Rate – den US-Leitzins – lassen mit 4,6% für 2024 mittlerweile drei Zinssenkungen in Höhe von jeweils 0,25 Prozentpunkten erwarten.
Damit beendete die Fed auch vorzeitig die bisherige Strategie der verbalen Eingrenzung von Inflationserwartungen. Die Markterwartungen stiegen prompt auf bis zu sechs projizierte Zinssenkungen, was aus heutiger Sicht jedoch kaum realistisch ist. Denn zeitlich könnte die Fed unter Zugzwang kommen, weil sie sich traditionell nah am Wahltermin im November mit geldpolitischen Veränderungen zurückhält, um sich nicht dem Verdacht der Beeinflussung auszusetzen. Eine erste Zinssenkung ist damit im März wahrscheinlich, der Anfang Mai und im Juni zwei weitere folgen sollten. Je nach Ausmaß der wirtschaftlichen Abkühlung und abhängig von der Inflationsentwicklung könnte nach der Wahl im Dezember eine weitere geldpolitische Lockerung erfolgen.
Auch wenn die initiale Reaktion ein Kursfeuerwerk an den Aktienmärkten war, lässt dieses Vorgehen der Notenbank doch zwei unterschiedliche Interpretationen zu. Entweder sieht die Fed den kommenden Monaten entspannt entgegen und geht von einem Soft Landing der US-Konjunktur mit tendenziell weiter nachgebenden Inflationsraten aus. Dagegen spricht allerdings die nunmehr selbst initiierte Gefahr, dass die Inflationserwartungen aufgrund der unerwartet taubenhaften Kehrtwende doch noch wieder ansteigen könnten. Oder die Notenbanker befürchten einen stärkeren Rücksetzer der Wachstumsaussichten – möglicherweise verursacht durch nach wie vor vorhandenen Stress im Bankensystem angesichts eines hohen Anteils unrealisierter Bilanzverluste nach dem schnellen Zinsanstieg – und wollen diesem vorsorglich durch Zinssenkungen den Garaus machen.
Mit ihrer Kommunikation hat die Fed die EZB offensichtlich überrumpelt, deren Präsidentin Lagarde auf der Pressekonferenz am Tag nach der Fed-Entscheidung mehrfach betonen musste, dass etwaige Zinssenkungen in der Eurozone bis auf weiteres kein Thema sind. Tatsächlich sind allerdings aufgrund der anhaltenden Konjunkturschwäche und des voraussichtlich weiter nachgebenden Inflationsdrucks auch in der Eurozone Zinssenkungen ab dem Frühjahr denkbar.
Milde Rezession wahrscheinlich
Für die USA erwarte ich eine insgesamt milde Rezession. Wenn die Fed es schaffen sollte, durch eine frühzeitige geldpolitische Wende die Wachstumsdynamik im zweiten Halbjahr wieder zu stabilisieren, könnte sie sich im Herbst zurückhalten und in der letzten Sitzung des Jahres ggf. noch eine weitere Zinssenkung folgen lassen. Auf Gesamtjahressicht dürfte die Wachstumsrate der US-Volkswirtschaft jedoch auch im Jahr 2024 mit rund 1 bis 1,5% positiv ausfallen.
Sollte die Inflation allerdings entgegen den Erwartungen der Fed in den kommenden Monaten stärker zulegen und die Leitzinsen doch längerfristig auf den erhöhten Niveaus verbleiben, wird es zu einer härteren Landung der US-Wirtschaft kommen.
Unsicherheitsfaktor Präsidentschaftswahlen?
Die anstehenden Vorwahlen sowie der dann folgende Präsidentschaftswahlkampf dürften medial in den kommenden Monaten ein überragendes Interesse auf sich ziehen. An den Börsen und für die Realwirtschaft wird allerdings vorerst die Entwicklung der Zinsen die wichtigste Rolle spielen, denn sie sind der entscheidende Regler für die Stärke der bevorstehenden konjunkturellen Abkühlung. Diese wiederum könnte den Wahlausgang möglicherweise wesentlich beeinflussen. Gelänge es, eine Rezession zu vermeiden und trotzdem den Teuerungsdruck in Richtung der Zielmarke von 2% zu bewegen, würde wohl der Amtsinhaber profitieren.
Wer auch immer jedoch am Ende des Jahres zur Präsidentin oder zum Präsidenten der USA gewählt wird, muss sich vor allem zunächst der Haushaltskonsolidierung widmen. Es ist kaum davon auszugehen, dass Kapitalmärkte und Ratingagenturen auch künftig Haushaltssalden in der Größenordnung der letzten Jahre und damit eine weiter rasant steigende Staatsverschuldung ohne deutlich steigende Zinsen und Rating-Herabstufungen tolerieren werden.
Da ein Großteil der Wachstumsdynamik der letzten Jahre auf staatliche Transfers zurückzuführen war, ist ein Ende des dauerhaften und deutlichen Wachstumsvorsprungs der USA im Vergleich zu Europa denkbar. Zugleich werden der/die Zinsentscheid/Zinsentscheide, aber noch stärker der Wahlausgang in den USA erhebliche Auswirkungen auf die Welt- und die europäische Wirtschaft haben. Anleger sollten die Entwicklungen jenseits des Atlantiks daher unbedingt weiterhin im Blick behalten.