Venedig zwischen Biennale und Kreuzfahrtschiffen
Wenn in den ungeraden Jahren in Venedig die Kunst-Biennale stattfindet, dann ist die Stadt noch voller als sonst. Rund 615 000 Besucher drängten sich 2017 in den 90 Länderpavillons am Arsenale, wo früher die Schiffe der Stadtrepublik gebaut wurden, und in den vielen Galerien, Veranstaltungen und Ausstellungen, die von Mai bis November in der ganzen Stadt Kunst aller Art zeigen.Die 58. Biennale dauert noch bis 24. November. Die vielleicht größte Provokation ist in diesem Jahr ein gegenüber dem Arsenale ausgestelltes Flüchtlingsschiff, auf dem 2017 knapp 700 Menschen im Mittelmeer ertranken. “Barca Nostra” nennt der Schweizer Künstler Christoph Büchel das Projekt.Die Biennale ist in diesem Jahr noch politischer als in den letzten Jahren: Flüchtlinge, Fake News, Klimawandel und Globalisierung sind die wichtigsten Themen. Ausstellungspräsident Paolo Baratta wehrt sich gegen allzu starke Vereinfachungen, wie sie populistische Politiker à la Matteo Salvini gern anwenden. “Eine Biennale erzählt von der Komplexität der menschlichen Existenz”, meint er. Der amerikanische Kurator Ralph Rugoff sieht es eine Spur ironischer: “May You Live In Interesting Times” lautet das Motto, unter das er die Veranstaltung gestellt hat.Die Biennale ist auch Gelegenheit für Sammler, Spender und Sponsoren, ihr Unternehmen, sich selbst und ihr Handeln in das beste Licht zu stellen. Sie wollen zeigen, dass sie nicht nur am schnöden Mammon interessiert, sondern auch kunstbeflissen sind.Von den 80 Künstlern aus 38 Ländern, die offiziell eingeladen sind, leben und arbeiten 14 in Berlin, das sich damit als eine der Metropolen der zeitgenössischen Kunstproduktion präsentieren kann. Verteilt über das ganze Stadtgebiet von Venedig sind jedoch die Werke von noch sehr viel mehr Künstlern zu sehen.Die Biennale beschert Venedig hohe Einnahmen, volle Restaurants und Hotels und oft noch höhere Preise. Dabei erstickt die Lagunenstadt ohnehin im Touristenstrom. Rund 30 Millionen Besucher verzeichnet die Stadt jährlich. Die geplante Eintrittsgebühr für Tagestouristen wird in diesem Sommer aber noch nicht erhoben – wegen “technischer Probleme”. Nach den derzeitigen Plänen sollen die Touristen ab September zunächst 3 Euro pro Tag zahlen, 2020 dann 6 Euro und später vielleicht noch mehr – in Abhängigkeit von den Besucherzahlen. Bürgermeister Luigi Brugnaro wehrt sich aber gegen Vorwürfe, Venedig zocke die Gäste ab. “Die Einnahmen dienen der Instandhaltung und Sauberkeit”, sagt er.Venedig hat viele Probleme. Die Stadt, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts 150 000 Einwohner zählte, hat heute nur noch 50 000 ständige Bewohner. Wer hier lebt, muss dickhäutig sein, sich durch Touristenmassen kämpfen. In vielen Teilen der Stadt gibt es kaum Einkaufsmöglichkeiten für Normalbürger. Und die Zahl der Ferienwohnungen, die nur ein paar Tage im Jahr bewohnt sind oder ständig an Touristen vermietet werden, ist hoch.Hinzu kommen die Probleme mit einer Vielzahl von Booten auf den überlasteten Kanälen. Auf einigen großen Wasserläufen verkehren zusätzlich riesige Kreuzfahrtschiffe, die nicht nur die Luft verpesten, sondern auch gefährlich sind. Nachdem im Juni ein Riesenschiff auf dem Giudecca-Kanal nahe dem Markusplatz ein Touristenboot rammte, wodurch vier Touristinnen verletzt wurden, ist gerade erst eine weitere Katastrophe verhindert worden. Beinahe wäre ein Riesendampfer auf die Schiffsanlegestelle Giardini aufgefahren.Bürgermeister Brugnaro forderte die Unesco auf, Venedig auf die Rote Liste der gefährdeten Weltkulturerbestätten zu setzen. Doch das wurde abgelehnt, obwohl auch Umweltschützer vor den Auswirkungen der Pötte auf das sensible Lagunensystem warnen.Brugnaro sieht sich von Umweltminister Danilo Toninelli nicht länger vertreten. Dieser könne den Schutz der Stadt nicht sicherstellen. Der Minister verspricht immer wieder vollmundig, handeln zu wollen. Doch es tut sich nichts. Die von der Stadt gewünschte Verlagerung des Kreuzfahrthafens in die Industriezone Marghera ist wohl vom Tisch. Nun wird die Lagunenstadt Chioggia ins Auge gefasst. Doch bis es dazu kommen sollte, wird es noch Jahre dauern.