Vestager fehlt - aus gutem Grund
Von Detlef Fechtner, FreiburgEigentlich müsste eine Stiftung einer Preisträgerin grollen, wenn sie den Festakt schwänzt, bei dem man ihr den Ehrenpreis verleihen will. Aber Margrethe Vestager, der in diesen Tagen wohl bekanntesten Dänin in Deutschland, können es die Vertreter der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung nicht wirklich übel nehmen, dass die EU-Kommissarin an diesem Sonntag in buchstäblich letzter Sekunde die feierliche Zeremonie in Freiburg absagen musste. Schließlich hat die 51-jährige Vestager einen guten Grund: Ihre Anwesenheit in Brüssel ist dringend notwendig, weil zeitgleich mit der Freiburger Veranstaltung in Europas Hauptstadt gerade die Regierungschefs zusammentreten, um die EU-Spitzenpositionen zu besetzen. Und da sollte Vestager – so ist es einhellige Stimmung unter den versammelten Repräsentanten der Hayek-Stiftung – eine ganz wichtige Rolle spielen.”Ich würde mich freuen, wenn ich sie das nächste Mal als EU-Kommissionschefin begrüßen dürfte”, bekennt beispielsweise der an diesem Tage mit dem Publizistikpreis der Hayek-Stiftung ausgezeichnete frühere Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement. Und der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler macht Vestager ein Lob über Bande, indem er an einen Tweet von Donald Trump erinnert, in dem der US-Präsident über die Brüsseler Wettbewerbskommissarin wie ein Rohrspatz schimpft. Sie hasse, so habe sich Trump neulich geäußert, die Vereinigten Staaten vielleicht mehr als alle anderen Menschen, die er getroffen habe. Was wiederum Köhler zu einer Würdigung von Vestager veranlasst: “Gratulation, sie scheint einen sehr guten Job zu machen.”Die Bereitschaft, sich bei anderen unbeliebt zu machen und dabei eine liebenswürdige Person zu bleiben – das ist es, was die Jury an Vestager schätze, signalisieren unisono alle Sprecher beim Festakt. In der Tat: Misst man die Bedeutung eines Amtsträgers an Zahl und Macht derer, mit denen sie oder er sich anzulegen traut, dann kann die Sozialliberale zu den bedeutendsten Europäern gezählt werden. Denn Vestager hat nicht nur energisch die Fälle gegen Steuervermeidung großer Konzerne vorangetrieben und zum Abschluss gebracht, die sie von ihrem Vorgänger Joaquín Almunia geerbt hatte. Sondern sie hat sich auch dem Wunsch der deutschen und französischen Regierung entgegengestellt, aus Siemens und Alstom einen europäischen Champion zu schmieden.Zugleich gibt es aber auch das andere Gesicht der EU-Kommissarin, die sich in Meinungsumfragen der Beliebtheit bei den Bürgern Europas erfreut – und die auch innerhalb der eigenen Generaldirektion große Sympathien genießt. Weil sie im persönlichen Gespräch freundlich, aber nicht kumpelhaft auftritt. Und weil sie trotz aller Dossiers die Zeit findet, ihren Kollegen auch einmal selbst gebackenen Kuchen mitzubringen.