Viel Kritik am EU-Klimagesetz

Zwist über 2030-Ziel - Kommission nimmt Energiesteuern in den Fokus - Schutz der Industrie versprochen

Viel Kritik am EU-Klimagesetz

Das geplante EU-Klimagesetz ist auf breite Kritik gestoßen. Vor allem das noch fehlende neue Zwischenziel für 2030 sorgt für Diskussionen. Die Industrie befürchtet eine nicht zu händelnde Verschärfung der Vorgaben. Die EU-Kommission will ein Level Playing Field unter anderem mit einer CO2-Grenzsteuer erreichen.ahe Brüssel – Das von der EU-Kommission erarbeitete europäische Klimagesetz ist sowohl bei Umweltschützern als auch in der Wirtschaft auf breite Kritik gestoßen. Industrieverbände forderten eine sorgfältige Folgenabschätzung, bevor neue verbindliche Klimaziele festgelegt werden. “Die Frage ist nicht, ob dieser tiefe gesellschaftliche Wandel notwendig ist – darin sind wir uns alle einig”, erklärte für den europäischen Industrie-Dachverband Businesseurope Generaldirektor Markus Beyrer. “Die Schlüsselfrage ist, wie man auf wirtschaftlich und sozial machbare Weise dorthin gelangt.”Das Klimagesetz, das gestern vorgestellt wurde, schreibt die Klimaneutralität bis 2050 gesetzlich fest. Ein neues, schärferes Zwischenziel für 2030 will die Kommission erst im September nennen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) äußerte sich “besorgt”. Es bleibe völlig offen, ob und mit welchen Instrumenten weitere Zielverschärfungen überhaupt erreicht werden könnten, so der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Holger Lösch. “Bloße Zielformulierungen bleiben Wunschdenken, wenn keine konkreten Instrumente genannt und die Folgen nicht gründlich abgeschätzt werden.” Lösch verwies zudem auf mangelnde Klimaschutz-Ambitionen von internationalen Wettbewerbern.Noch deutlicher äußerte sich der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Achim Dercks, der vor höheren Kosten für die Unternehmen und fehlenden Perspektiven für Investitionen warnte. “Es ist zu befürchten, dass ganze Branchen aus der EU verdrängt werden – mit negativen Folgen sowohl für die Wirtschaftskraft als auch für den Klimaschutz.” In Kernindustrien der europäischen Wirtschaft seien bislang nicht einmal ansatzweise technische und vor allem wirtschaftlich vertretbare Alternativen für eine kohlenstoffarme Produktion in Sicht. Erste Schritte zur GrenzsteuerIn ein ähnliches Horn stieß der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, der davor warnte, das Kind mit dem Bade auszuschütten: “Wenn die Kommission beim Thema Klimaschutz überdreht, haben wir am Ende zwar vielleicht eine CO2-neutrale Wirtschaft, sind im globalen Wettbewerb aber chancenlos.”Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wies diese Befürchtungen zurück und betonte, man wolle die europäische Industrie schützen und für sie im internationalen Wettbewerb auch ein Level Playing Field schaffen. Dies soll unter anderem mit Hilfe einer CO2-Grenzsteuer (Carbon Border Tax) erreicht werden, für die gestern eine erste öffentliche Konsultation für eine Folgenabschätzung eingeleitet wurde.”Wir müssen uns davor schützen, dass Unternehmen ihre Produktion in Teile der Welt verlagern, in denen die Standards laxer sind”, betonte hierzu EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni. Vor der Einführung einer solchen Grenzsteuer müssten noch verschiedene Optionen geprüft werden, insbesondere im Hinblick auf die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO).Als weiteren Schritt zur Unterstützung der Klimaziele will die Brüsseler Behörde auch eine Überprüfung der Energiebesteuerungsrichtlinie einleiten, wie Gentiloni weiter ankündigte. Dabei werde man sich mit Mindeststeuersätzen für Energieprodukte und Elektrizität befassen, unter anderem mit Blick auf bestehende Ungleichgewichte zwischen Benzin und Diesel. Zudem müsse die Besteuerung bei der Förderung erneuerbarer Energien und von Energieeffizienz überprüft werden sowie die aktuellen Steuerbefreiungen bei fossilen Brennstoffen. Vorschlag einer “Kapitulation”Strittig blieb auch gestern vor allem, welches CO2-Minderungsziel die EU für 2030 setzen soll. Angekündigt werden im Klimagesetz, dem auch die EU-Mitgliedstaaten und das EU-Parlament noch zustimmen müssen, ein mögliches neues Ziel von 50 bis 55 % gegenüber 1990. Aktuell liegt das Ziel noch bei 40 %.Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) verwies darauf, dass die Chemiebranche zwar schon an Technologien arbeite, um bis zur Jahrhundertmitte die Produktion treibhausgasneutral zu stellen. Zusätzliche CO2-Vorgaben, die sich aus verschärften 2030-Zielen über den Emissionshandel ergäben, könne die chemische Industrie aber kaum erreichen, warnte Wolfgang Große Entrup, der VCI-Hauptgeschäftsführer. “Wir brauchen einen langen Atem, um in der Chemie auf null Emissionen zu kommen. Eine weitere Zielverschärfung bis 2030 kann dazu führen, dass uns unterwegs die Luft ausgeht.”Kritik kam in diesem Zusammenhang allerdings auch von Umweltschützern. So prangerte Greenpeace die Bundesregierung als Klimaschutz-Bremser in der EU an. Berlin müsse endlich die “unwürdige Zurückhaltung” aufgeben und eine deutliche Verschärfung des Klimaziels für 2030 mittragen.Die schwedische Aktivistin Greta Thunberg, die gestern in Brüssel an der Sitzung der EU-Kommission teilnahm, bezeichnete das Klimagesetz gar als “Kapitulation” vor der Herausforderung der globalen Erwärmung. Die mit dem Gesetz geplante Festlegung auf ein klimaneutrales Europa bis 2050 sei eine Scheinlösung, schrieb Thunberg gemeinsam mit anderen Aktivisten in einem offenen Brief an die EU-Kommission. Tatsächlich nötig sei sofortiges Handeln.