NOTIERT IN NEW YORK

Vom Weihnachtsevent zur Fast-Food-Küche

In der Finanzmetropole New York City ist die Weihnachtssaison in vollem Gange. Unter Mitarbeitern von Banken, Versicherungen, Hedgefonds, Anwaltskanzleien und den sonstigen Firmen, die im weiteren Sinne der Finanzindustrie zugeordnet werden können,...

Vom Weihnachtsevent zur Fast-Food-Küche

In der Finanzmetropole New York City ist die Weihnachtssaison in vollem Gange. Unter Mitarbeitern von Banken, Versicherungen, Hedgefonds, Anwaltskanzleien und den sonstigen Firmen, die im weiteren Sinne der Finanzindustrie zugeordnet werden können, ist die Stimmung prächtig. Auf fast schon täglichen Wohltätigkeitsevents zum Weihnachtsfest prostet man sich zu und gönnt sich dabei noch das gute Gefühl, für andere Menschen – zumeist Kinder – ein paar Dollar gesammelt zu haben. Ein Kelch geht dabei allerdings nur selten herum. Auch muss man vor Ort meist mit dem Organisator sprechen, damit der offizielle Zweck der Wohltätigkeitsveranstaltung überhaupt zur Sprache kommt.”Wofür wird hier gesammelt?” “Heute? Ich glaube, krebskranke Kinder, oder nicht?” “Nein, heute wird doch eine Organisation unterstützt, die gegen Kindesmissbrauch vorgeht.” “Ach so, na dann ist das andere wohl am Donnerstag.” So läuft eine typische Konversation zu dem Thema ab. Nun gehen die Veranstaltungen meist auch nicht sehr lange. Zwei bis drei Stunden nach der Arbeit müssen reichen. Zum einen geht es am nächsten Tag wieder ins Büro. Zum anderen ergibt sich dies aus einem Missverhältnis zwischen dem üppigen Angebot alkoholischer Getränke und den – wohl aus Kostengründen – knapp gehaltenen kulinarischen Köstlichkeiten. So hat meist nur die erste Welle der Teilnehmer eine Chance auf feste Nahrung, während das Gros mit Bier, Wein und Whiskey vorliebnehmen muss. Spätestens nach zwei, drei Stunden setzt dann der Hunger ein und der Saal leert sich wie von selbst. Insofern erscheint das Vorenthalten von Verköstigungen schon aus Zeitmanagementgründen durchaus sinnvoll. *Ein Nebeneffekt der kulinarisch knapp bestückten Wohltätigkeitsveranstaltungen ist, dass die Fast-Food-Gastronomie sich in Manhattan noch am späten Abend über hungrige Kundschaft freuen kann. Überhaupt ist die Schnellimbissbranche, die unter New Yorkern offiziell eher verpönt ist, in den vergangenen Jahren rasant gewachsen. Derzeit arbeiten 55 000 Menschen in New Yorks Fast-Food-Läden – über 50 % mehr als noch im Jahr 2000. Keine andere Branche hat in dieser Zeitspanne derart kräftig expandiert. Bei den Angestellten kommt von dem Boom indes nur wenig an. In Manhattan kamen Vollzeitangestellte von Schnellrestaurants 2012 im Schnitt auf 19 000 Dollar Jahresgehalt, in Brooklyn auf 15 500 Dollar und in Staten Island sogar auf noch weniger.Dabei werden die Jobs längst nicht mehr nur mit Schülern und Studenten besetzt, die sich etwas dazuverdienen wollen. Die schwierige Lage am Arbeitsmarkt und die mit der Finanzkrise gewachsene Altersarmut treiben auch ältere Amerikaner in die Fast-Food-Industrie. Natürlich ist das Durchschnittsalter der Angestellten mit 29 noch immer sehr jung. Laut Gewerkschaftsvereinigungen, die für den heutigen Donnerstag einen landesweiten Streik angekündigt haben, hat aber mehr als ein Viertel bereits eigene Kinder. Fast die Hälfte von ihnen müsse einem zweiten Job nachgehen, um mit der Familie über die Runden zu kommen. Sie fordern schon daher höhere Löhne – vor allem für langjährige Angestellte.Industrielobbygruppen sehen das Problem indes weniger in den niedrigen Löhnen als in der Berufswahl der Angestellten, die zu einer strukturellen Anomalie geführt habe. Jobs in der Fast-Food-Industrie seien nicht dafür gedacht, eine dauerhafte Perspektive für Erwachsene mit Familie zu bieten. “Der Mindestlohn sollte doch nie genug zum Leben bieten”, wagt Steve Caldeira, Präsident der International Franchise Association, zu behaupten. Vor den Streiks fürchtet sich die Industrie ohnehin nicht. Wegen des hohen Anteils an Teilzeitkräften haben sich die Belegschaften bislang kaum gewerkschaftlich organisiert. Die National Restaurant Association geht davon aus, dass kaum Mitarbeiter an den Streiks teilnehmen werden. Diese Hoffnung könnte indes trügerisch sein. Der jüngste Widerstand gegen die Niedriglöhne in der Branche war 2012 in einer einzigen McDonald’s-Filiale in Manhattan gestartet worden. Bis zum Ende des Tages hatten sich die Streiks auf Dutzende New Yorker Schnellrestaurants ausgeweitet – ganz ohne gewerkschaftliche Organisation.