NOTIERT IN BRÜSSEL

Vorbereitungen auf einen Nothaushalt

Erinnern Sie sich noch an das Jahr 1988? Genau: Damals stand noch die Berliner Mauer. Es gab noch die Sowjetunion. Und Länder wie Polen und Ungarn steckten noch hinter dem Eisernen Vorhang fest. Ach ja, damals gab es übrigens auch zum letzten Mal in...

Vorbereitungen auf einen Nothaushalt

Erinnern Sie sich noch an das Jahr 1988? Genau: Damals stand noch die Berliner Mauer. Es gab noch die Sowjetunion. Und Länder wie Polen und Ungarn steckten noch hinter dem Eisernen Vorhang fest. Ach ja, damals gab es übrigens auch zum letzten Mal in der EU eine Art Nothaushalt, weil es keine rechtzeitige Budget-Einigung der Mitgliedstaaten gab. Korrekter müsste man wohl feststellen, dass es eigentlich nicht die Europäische Union war, die zu der Zeit ja auch noch gar nicht existierte, sondern die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit ihren damals zwölf Mitgliedern. 2021, also mehr als 30 Jahre später, droht den Europäern wieder ein Nothaushalt – weil Polen und Ungarn mittlerweile längst dem Club angehören und mitten in der schwersten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit die eigentlich bereits ausgehandelten Kompromisse zum neuen mehrjährigen Haushaltsrahmen blockieren. *In Brüssel haben hinter den Kulissen schon Arbeiten an den noch möglichen Alternativen für 2021 begonnen. Denn bereits in der nächsten Woche laufen feste Fristen für eine Einigung endgültig aus. Demnach wäre ein Nothaushalt nur noch dann zu verhindern, wenn sich die europäischen Gesetzgeber bis Montagabend, 24 Uhr, über den 2021-Etat verständigen – was bei einem fehlenden mehrjährigen Haushaltsrahmen nicht ganz so leicht ist – und die Staats- und Regierungschefs zugleich am Donnerstag auf ihrem EU-Gipfel eine Einigung im Streit mit Polen und Ungarn finden. Dann wäre auch eine Verabschiedung durch das EU-Parlament in der sich anschließenden Sitzungswoche noch möglich. *Gelingt dies nicht, müsste die EU-Kommission im ersten Quartal 2021 einen neuen Jahreshaushaltsvorschlag vorlegen, der aktuellen Schätzungen der Behörde zufolge etwa 25 bis 30 Mrd. Euro geringer ausfallen muss als die derzeitigen Planungen, die ein Volumen von 165 Mrd. Euro vorsehen. Dies liegt vor allem daran, dass es keine neue (höhere) Eigenmittelobergrenze gibt und zugleich die Bezugsbasis (das Bruttonationaleinkommen) wegen des Brexit und der Coronakrise deutlich gesunken sind. *Sollte die Budget-Kuh in der nächsten Woche nicht doch noch kurzfristig vom Eis geholt werden, sehen die EU-Verträge ab dem 1. Januar erst einmal grundsätzlich ein Budget im Umfang des Vorjahres vor. Pro Monat stünde dann theoretisch ein Zwölftel dieses Jahresbetrags zur Verfügung. Allerdings: Viele Programme laufen Ende dieses Jahres aus. Und für neue Programme darf die EU-Kommission 2021 keine neuen Zahlungszusagen geben. Davon betroffen wären beispielsweise die milliardenschweren Kohäsions- beziehungsweise Strukturfondsmittel. 50 bis 75 % dieser Gelder dürften nach Schätzungen aus der Brüsseler Behörde wohl vorerst wegfallen. Es gäbe auch keine neuen Mittel für das Forschungsprogramm Horizon, für das Austauschprogramm Erasmus, für den Bereich Grenzmanagement oder für das Gesundheitsprogramm “EU4Health”. Die Agrarhilfen wären von dem Stopp hingegen nicht betroffen. Ausgezahlt werden dürften auch noch Mittel, für die es schon in der laufenden Finanzperiode eine Zusage gegeben hatte. Und dies ist nicht gerade ein kleiner Topf: Rund 300 Mrd. Euro aus dem jetzt auslaufenden Etatrahmen 2014 bis 2020 wurden schon zugesagt, aber von den Staaten noch nicht abgerufen. *Die Situation ist verfahren. So richtig viele Experten, die sich noch daran erinnern können, wie das Problem 1988 genau gelöst wurde, gibt es in Brüssel nicht mehr. Hinzu kommt: An dem derzeit blockierten Budgetrahmen hängt ja auch noch der Corona-Wiederaufbaufonds, den es so ja auch noch nie gegeben hat. Wie in Brüssel zu hören ist, bereitet die EU-Kommission bereits einen Vorschlag für ein neues Design des Fonds vor, der dann wohl im Zuge einer verstärkten Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten organisiert würde – dann aber ohne Polen und ohne Ungarn.