NOTIERT IN MOSKAU

Was erheitert - und was nachdenklich macht

In Russland wird viel gelacht. Im Staatsfernsehen zum Beispiel besonders dann, wenn es um andere geht. Und da ist im Moment die Ukraine der große Renner. Dass im südlichen Nachbarland ein Komiker die Präsidentenwahlen gewonnen hat, veranlasst die...

Was erheitert - und was nachdenklich macht

In Russland wird viel gelacht. Im Staatsfernsehen zum Beispiel besonders dann, wenn es um andere geht. Und da ist im Moment die Ukraine der große Renner. Dass im südlichen Nachbarland ein Komiker die Präsidentenwahlen gewonnen hat, veranlasst die Teilnehmer an politischen Talkshows nur noch mehr dazu, die slawischen Brüder als schrullige und etwas rückständige Provinzielle vorzuführen und sich dabei vor Lachen zu biegen.Über die eigene politische Elite lacht man natürlich nicht. Was nicht heißt, dass sie nicht andernorts zum Spott freigegeben ist. In sozialen Medien und in der Bevölkerung nimmt dieser merklich zu. Kremlchef Wladimir Putin ist dort nicht mehr der sakrosankte Anführer, den ein Lachtabu vor jeglichem Angriff schützt. Zuletzt konnte man ein vergleichbares Brechen dieses Tabus Ende 2011 bemerken – kurz bevor es zu den damaligen Großdemonstrationen kam.Von all den ausländischen Staatschefs übrigens, über die Putin selbst sich im Laufe der Jahre einmal oder wiederholt lustig gemacht hat, gibt es nur eine einzige strikte Ausnahme: Chinas Staatschef Xi Jinping. Ihm lässt der Kremlchef Achtung zukommen, weil er weiß, dass Xi über eine Beleidigung nicht so leicht hinwegsehen würde, wie Diplomaten beteuern. Das äußert sich im Übrigen auch darin, dass Xi der Einzige ist, bei dem Putin nicht zu spät kommt, während er andere Amtskollegen oder hochrangige Wirtschaftsdelegationen auch Stunden warten lässt.Trotz aller Lachmotive und -variationen ist es freilich so lustig in Russland nicht. Das haben zuletzt gleich mehrere statistische Daten vor Augen geführt. Etwa die Umfrage von Sberbank CIB, der Investmentsparte der Sberbank, über die finanzielle Mittelschicht. Hatten sich 2014, im Jahr der Krim-Annexion, noch 60 % aufgrund ihres Einkommens zur Mittelschicht gezählt, so sind es jetzt nur noch 47 %. Und während 2014 nur 35 % ihr Einkommensniveau als niedrig und unterhalb des mittleren einstuften, so sind es jetzt 47 %. Nur die 5 %, die sich als sehr begütert sehen, sind – trotz eines temporären Knicks 2016 – gleich geblieben. Die Wirtschaftskrise und der Rückgang der Realeinkommen über fünf Jahre haben der Mittelschicht zugesetzt, die in der Umfragedefinition als jenes Bevölkerungssegment angesehen wird, das Geld für Reisen und Restaurantbesuche beziehungsweise zum Sparen hat.Eine andere Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Levada-Center vom März macht noch hellhöriger. Ihr zufolge haben 51 % entweder Achtung vor oder Sympathie für den sowjetischen Schlächter Stalin bzw. sind gar begeistert von ihm. Das ist der höchste Wert seit Beginn der Erhebungen Ende der neunziger Jahre. War der Wert Ende 2012 auf 28 % zurückgegangen, so ist er seither nach oben geschnellt. Auffällig ist, dass dieses Ergebnis nicht nur auf der Einstellung der Anhänger extremer Parteien gründet, sondern auch auf der von Putin-Anhängern, weshalb Soziologen es nicht so sehr einer Nostalgie zuschreiben, sondern vielmehr der Unzufriedenheit mit den Lebensbedingungen und der Lage im Land generell.Unter Stalin leben würden die meisten übrigens nicht wollen, aber der Anteil derer, die seine Rolle insgesamt als positiv für das Land erachten, stieg von 45 % im Jahre 2011 auf nun 70 %. Selbst bei der Altersgruppe 18-24 Jahre sind 38 % dieser Ansicht, die mittlerweile im Unterschied zu früheren postkommunistischen Jahren kein Tabu mehr ist. Die staatliche Propaganda hat aus dem Tyrannen das Bild des Siegers im Weltkrieg, des effizienten Managers sowie sorgenvollen Vaters der Nation gemacht. So gesehen ist das jetzige Votum für ihn eigentlich eine Ohrfeige für Putins Kremlmannschaft.Die Stimmung hat sich in den vergangenen Jahren in vielerlei Hinsicht gewandelt. Der auffällige Trend zum Konservativen ist Ausdruck einer Ablehnung des Westens. Zutage tritt dies etwa auch in einer anderen Umfrage des “Levada-Centers” – und zwar über die Stellung der Frau in der Gesellschaft. Waren 2006 noch 70 % der Ansicht, dass “Frauen in Russland höchste staatliche Posten gleichwertig den Männern einnehmen” sollten, so jetzt nur noch 56 %. Und was eine mögliche Staatspräsidentin in den kommenden 10 bis 15 Jahren betrifft, so waren 2006 noch 65 % dafür, heute nur noch halb so viele.