GASTBEITRAG

Welche Tragweite hat die US-Expansion?

Börsen-Zeitung, 6.2.2019 Der US-Aufschwung währt nunmehr schon länger als jemals zuvor in der Nachkriegszeit, so dass vielfach befürchtet wird, dass die Expansionsphase allmählich ausläuft. Damit verlöre die Weltwirtschaft ihre derzeit stärkste...

Welche Tragweite hat die US-Expansion?

Der US-Aufschwung währt nunmehr schon länger als jemals zuvor in der Nachkriegszeit, so dass vielfach befürchtet wird, dass die Expansionsphase allmählich ausläuft. Damit verlöre die Weltwirtschaft ihre derzeit stärkste Stütze, die Perspektiven weltweit wären gänzlich andere. Der Frage nach der Tragweite der aktuellen Expansionsphase der US-Leitökonomie kommt damit eine besonders große Bedeutung zu. Das wohl am häufigsten angeführte Argument für einen nahenden Abschwung ist die bisherige Dauer der Expansionsphase. Gleichzeitig scheint die Spreadeinengung zwischen den kurz- und langfristigen Zinsen ebenfalls auf ein baldiges Ende des aktuellen Zyklus hinzudeuten. Schließlich wird die zunehmende Räumung des US-Arbeitsmarktes angeführt, die alsbald die Fed zwingen könnte, den Aufschwung durch höhere Zinsvorgaben zu beenden. Steht also im nächsten oder auch im übernächsten Jahr eine erhebliche Abschwächung an oder ist gar eine Rezession zu befürchten? UnterdurchschnittlichWir glauben nein: Die US-Wirtschaft ist seit der Lehman-Krise unterdurchschnittlich gewachsen, so dass mit Blick auf die absoluten Zuwächse noch Nachholbedarf bestehen dürfte. Auch die Lage am Arbeitsmarkt ist unserer Einschätzung zufolge nur bedingt für ein Timing zu gebrauchen. Aus unserer Sicht hat die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik der US-Administration eine solche Aufbruchsstimmung im Unternehmerlager entfacht, dass die US-Ökonomie ihre Grenzen mit Blick auf das Beschäftigungsvolumen neu ausloten könnte. Die signifikante Zunahme der Preiselastizität in den USA, aber auch weltweit wird schließlich eine genauere Bestimmung des Zeitpunktes, ab dem die Fed dem Zyklus ein Ende bereiten muss, noch wesentlich komplexer gestalten als in bisherigen Wirtschaftszyklen. Die Tragweite des US-Zyklus hat mit Blick auf die Räumung des Arbeitsmarktes zwar sicherlich spürbar abgenommen. Ein konkretes Verfallsdatum des Aufschwungs lässt sich aus den Daten aber nicht ableiten.Die Indikation seitens der US-Zinsstrukturkurve ist sicherlich das empirisch trennschärfste Konzept, nicht zuletzt, weil es eine marktendogene Indikation mit sehr hoher Informationseffizienz darstellt. Die Bilanzverlängerung der Fed um Faktor 4 hat allerdings eine solche Verzerrung des Zinsgefüges mit sich gebracht, dass das langfristige Zinsniveau um bis zu 100 Basispunkte vermindert sein könnte.Im Ergebnis ist es höchstwahrscheinlich, dass die Indikation durch die US-amerikanische Zinsstrukturkurve schon allein aus der binnenwirtschaftlichen Perspektiven heraus irreleitend ist. Schließlich bewirkt die globale Integration der Kapitalmärkte, dass die weiterhin sehr expansive Geldpolitik rund um den Globus selbst auf dem hinsichtlich der Tiefe einzigartigen US-Kapitalmarkt besonders spürbar wird: Aus der amerikanischen Zinsstrukturkurve lässt sich derzeit keine valide Indikation für einen drohenden Abschwung ableiten. Aufschwung nicht am EndeWie kann man nun dennoch zu einer Gesamtabschätzung gelangen, wie weit der US-Aufschwung noch tragen könnte? Es gibt eine Vielzahl von Konzepten, um zu systematischen Aussagen hinsichtlich der Tragweite des Aufschwungs auch über verschiedene Zeithorizonte zu kommen. Für die USA ergeben diese Analysen unserer Wahrnehmung nach mehrheitlich, dass sich der Aufschwung in den USA noch nicht in seiner Endphase befindet. Einige empirische Analysekonzepte, wo eine sehr breite Palette von Kennziffern vor allem aus dem Finanzsektor zu quantifizierenden Aussagen verdichtet werden (Konzepte des sogenannten Finanzzyklus), verweisen sogar darauf, dass der Aufschwung noch ein halbes Jahrzehnt anhalten könnte.Nach unseren Simulationen mit dem diesbezüglich meistverwandten Modelltyp (sog. Probit-Modell) verweist der empirische Befund eben nicht auf einen nahenden Abschwung: Das Hauptargument für eine Fortsetzung der US-Expansion ist die im historischen Längsschnitt nach wie vor außerordentlich hohe finanzielle Potenz der US-Haushalte. Niedrige Zinssätze in Kombination mit hohen Zuwächsen bei den Lohnvolumina dürften noch über Jahre bewirken, dass der private Konsum die zentrale Stütze der Konjunktur bleibt. Demgegenüber hat die mittlerweile wieder höhere Verschuldung im US-Unternehmerlager nur wenig Aussagekraft. Im Gegenteil lässt die Indikation für die Investitionen derzeit auf eine weiterhin robuste konjunkturelle Entwicklung in der mittleren Frist schließen. Besonders aufschlussreich ist schließlich, dass sich die Konzepte zur Arbeitslosigkeit – zumindest im hier verwandten Modellrahmen – kaum für eine Vorhersage einer Rezession eignen.Auf die kurze Frist decken sich unsere Ergebnisse damit auch mit den Berechnungen seitens des Federal Reserve System, die diesbezüglich von einer Rezessionswahrscheinlichkeit von nahe null ausgehen. Das Konzept des Finanzzyklus lässt seiner Natur nach aber auch mittel- bis längerfristige Schlüsse zu. Die Treffsicherheit solcher Modelle ist zwar grundsätzlich eine inverse Funktion des Prognosehorizontes. Indikation kaum verändert Aus unserer Sicht verweisen die Daten aber ungewöhnlich klar darauf, dass sich an der Indikation auch auf Sicht der kommenden zwei Jahre kaum etwas ändert. Insofern stützen die vorgenannten Ergebnisse unsere Einschätzung, dass die Perspektiven für die USA extrem robust bleiben. Diese Prognose liegt nach unserer Einschätzung insbesondere jenseits der Zeitspanne, die die Finanzmärkte üblicherweise antizipieren. Insofern dürfte der Stimmungseinbruch an den Finanzmärkten nicht einem Ende des Weltwirtschaftszyklus geschuldet sein, sondern maßgeblich auf den Handelskonflikt zurückgehen. Sollte es also zu nennenswerten Fortschritten bei der Neuordnung der internationalen Handelsbeziehungen kommen, kann die Stimmung an den Finanzmärkten vor allem in den USA sehr schnell wieder deutlich besser werden.—-Jan Bottermann, Chefvolkswirt National-Bank