Wirtschaft attackiert Maßnahmen
sp/ms Berlin/Frankfurt
Wirtschaftsvertreter und Ökonomen attackieren Bund und Länder für die in der Nacht zu Dienstag verschärften Coronavorgaben. „Die Sorge in der Breite der Wirtschaft vor langanhaltenden, irreparablen Schäden wächst“, sagte Siegfried Russwurm, Präsident des Industrieverbands BDI, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Verlängerung des geltenden Zwangsstillstands bis 18. April und einen harten Lockdown für die Ostertage verkündet hatten. Der Wirtschaftsweise Volker Wieland nannte die Beschlüsse für die Betroffenen „bedrückend“ und insgesamt „enttäuschend, denn wir stehen doch schon lange nicht mehr am Anfang der Pandemiebekämpfung“. Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbandes HDE, kritisierte: „Bund und Länder agieren nur noch im Tunnelmodus.“
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) verteidigte die Beschlüsse hingegen als einen „beispiellosen Kraftakt“, der zwar für einige Unternehmen bitter sei und doch unumgänglich, um eine dritte Infektionswelle zu brechen und sowohl viele Menschenleben als auch die Substanz der Wirtschaft zu erhalten. Ökonomen rechneten vor, dass eine Rückkehr in einen harten Lockdown Milliarden kosten wird. Die Commerzbank senkte nach der Rückkehr zum harten Lockdown ihre Wachstumsprognose für das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr von 4,5% auf 3,5%. „Für unsere Konjunkturprognose hatten wir bisher unterstellt, dass es ab April zu nennenswerten und nicht nur symbolischen Lockerungen kommt“, sagte Chefvolkswirt Jörg Krämer.
Wieland sieht das Risiko weiterer Einschränkungen über Mitte April hinaus, „wenn es nicht gelingt, die dritte Welle zu verhindern. Möglicherweise wird dann gefordert, Grenzen zu schließen, überall Homeoffice einzuführen und sogar in der Industrie Betriebe zu schließen“, sagte Wieland der Börsen-Zeitung. „Das wäre fatal für die wirtschaftliche Entwicklung. Denn im Moment sind die Auftragseingänge von außerhalb Europas sehr gut und im verarbeitenden Gewerbe wird viel erwirtschaftet.“
Altmaier kündigte am Dienstag an, die Details zu den von Bund und Ländern beschlossenen zusätzlichen Coronahilfen für Unternehmen in den nächsten Tagen auszuarbeiten. Es gehe vor allem um Unternehmen, die während des gerade noch einmal verlängerten Lockdown besonders lange geschlossen seien. Beispiele nannte Altmaier nicht. Besonders stark betroffen von den Zwangsschließungen sind Hotels, Restaurants, Veranstalter und Tourismusfirmen. Der Wirtschaftsminister kündigte an, dass er sich mit dem Bundesfinanzministerium, den Fraktionen im Bundestag und den Ländern abstimmen werde. Zu Volumen und Details der zusätzlichen Hilfen wollte er sich nicht äußern. Spätestens Anfang nächster Woche sollte es deutlich mehr Klarheit geben.
Der Bundeswirtschaftsminister steht bereits seit Monaten in der Kritik, weil längst beschlossene Hilfszahlungen mit wochenlanger Verzögerung bei betroffenen Firmen angekommen sind und die Antragsverfahren als bürokratisch gelten. Ende nächster Woche will sich Altmaier erneut mit allen großen Wirtschaftsverbänden abstimmen.
Läden an Gründonnerstag zu
Gestern war es einmal mehr der besonders von der Pandemie betroffene Handel, der die Beschlüsse von Bund und Ländern harsch kritisierte. Die Maßnahmen müssten sich an den wissenschaftlichen Fakten orientieren, sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Genth. „Und die zeigen, dass die Infektionsgefahr beim Einkaufen niedrig ist.“ Es sei deshalb höchste Zeit, die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen und alle Geschäfte unter Einhaltung strikter Hygienekonzepte wieder zu öffnen. Als kontraproduktiv sieht der Verband die Schließung der Lebensmittelgeschäfte an Gründonnerstag. Das führe zu erhöhtem Kundenandrang am vorhergehenden Mittwoch und dem folgenden Ostersamstag.
Vorwürfe kommen auch von den Familienunternehmern, die intelligente Kontaktnachverfolgungen ebenso vermissen wie ausreichend Selbsttests. Der Mittelstandsverband BVMW warnte vor einer Pleitewelle. Der Deutsche Tourismusverband (DTV) forderte einen Plan für den Inlandstourismus. „Viele Betriebe stehen nun endgültig mit dem Rücken zur Wand“, sagte DTV-Geschäftsführer Norbert Kunz.