NOTIERT IN BRÜSSEL

Zeit der Pessimisten

Die EU-Institutionen in Brüssel haben nach dem Weihnachtsurlaub ihre Arbeit noch gar nicht wieder so richtig aufgenommen, da sorgt schon ein in der Union bislang kaum wahrgenommener Grenzkonflikt für die erste Unruhe im neuen Jahr. Es geht um eine...

Zeit der Pessimisten

Die EU-Institutionen in Brüssel haben nach dem Weihnachtsurlaub ihre Arbeit noch gar nicht wieder so richtig aufgenommen, da sorgt schon ein in der Union bislang kaum wahrgenommener Grenzkonflikt für die erste Unruhe im neuen Jahr. Es geht um eine Bucht in der nördlichen Adria, die sowohl Slowenien als auch Kroatien für sich reklamieren. Der seit Jahren ausgetragene Streit um die 31 Quadratkilometer von Piran (Slowenien) bzw. Savudrija (Kroatien) hatte eigentlich im Sommer von einem internationalen Schiedsgericht beendet werden sollen. Da die Regierung in Zagreb das (weitgehend gegen sie ausgefallene) Urteil aber nicht anerkennt, hat Slowenien jetzt erst einmal die EU-Kommission um Hilfe angerufen. Und die dürfte tunlichst darauf erpicht sein, dass sich der Streit in den nächsten Monaten nicht noch weiter hochschaukelt und damit ein neuer Brandherd in der EU entsteht. Von der Katalonien-Krise bis hin zum Brexit brennen gerade schon genügend andere Feuer. *Wie man einen Grenzkonflikt auch ganz anders – also pragmatisch und in freundschaftlichem Einvernehmen – lösen kann, haben zudem gerade erst Belgien und die Niederlande demonstriert. Zum Jahreswechsel ist eine neue Grenzziehung in Kraft getreten, die beide Seiten im November 2016 beschlossen hatten. Sie ist eine Folge der schon vor 50 Jahren durchgeführten Begradigung des Flusses Maas, die allerdings dazu geführt hatte, dass die Polizei beider Länder ihre so entstandenen Enklaven nur über das Territorium der jeweils anderen Seite erreichen konnte. Es entstanden rechtsfreie Räume, in denen laut belgischen Medien Drogenkriminalität und Sextourismus aufblühten. Diese zweite Grenzkorrektur zwischen Belgien und den Niederlanden in 175 Jahren hat die belgische Provinz Lüttich um rund 13 Hektar verkleinert. Die Niederlande sind entsprechend gewachsen. Dennoch hatte bereits bei Vertragsunterzeichnung der belgische Außenminister Didier Reynders darauf hingewiesen, dass das Abkommen auch bei anderen Grenzkonflikten als Vorbild dienen sollte. Der Vertrag habe gezeigt, dass Grenzen auch friedlich neu gezogen werden könnten, sagte er. *Belgien ist also noch weiter geschrumpft. Und es gibt durchaus Unkenrufe, nach denen das Land in zehn Jahren gar nicht mehr existieren wird. Der Medienkonzern Bloomberg hat dies auf jeden Fall in der kurz vor Silvester veröffentlichten neusten Ausgabe seines “Pessimist’s Guide” vorhergesagt. Eines der hier veröffentlichten pessimistischen Szenarios bis zum Jahr 2028, die unter anderem zum Nachdenken anregen sollen, prognostiziert eine Spaltung des Landes in drei Teile: Flandern, Wallonie und Brüssel. Von der kleinen deutschsprachigen Region im Land ist in dem Guide keine Rede. Neben der Spaltung Belgiens sagt Bloomberg unter anderem europaweite Proteste wegen der Rentenpolitik voraus, was Portugal, Italien, Griechenland und Spanien in eine neue Finanzkrise stürzen lässt. Auch Deutschland hält die Defizitvorschriften nicht mehr ein. Schottland stimmt für die Abspaltung von Großbritannien, wo längst Labour-Führer Jeremy Corbyn die Macht übernommen hat. Wie realistisch der “Pessimist’s Guide” ist, sei einmal dahingestellt. Aber 2015 waren hier schon der Brexit und die Wahl von Donald Trump vorhergesagt worden. Der slowenisch-kroatische Grenzstreit an der Adria spielte bei Bloombergs Pessimisten in diesem Jahr übrigens keine Rolle. *Über das Ende des belgischen Staates mögen Untergangspropheten nun weiter philosophieren. Das Ende des Telegramms in Belgien wurde dagegen zum Jahreswechsel schon zur Realität. Nach mehr als 170 Jahren stellt der im Land führende Telekommunikationskonzern Proximus den Telegrammdienst ein. Anfang der achtziger Jahre wurden in Belgien noch mehr als 1,5 Millionen Telegramme jährlich verschickt. 2010 waren es noch 50 000, in den ersten elf Monaten 2017 erstaunlicherweise immer noch 8 000 – trotz SMS, Whatsapp und Twitter.