Greensill Bank

Märchenonkel aus Bremen

Ein Bild der „Bremer Stadtmusikanten“ schmückt die Homepage der in der Hansestadt domizilierenden Greensill Bank, auf der sich das Institut selbst als „hoch kapitalisierte, traditionsreiche deutsche Bank“ be­schreibt. Ein Märchen, wie es im Buche...

Märchenonkel aus Bremen

Ein Bild der „Bremer Stadtmusikanten“ schmückt die Homepage der in der Hansestadt domizilierenden Greensill Bank, auf der sich das Institut selbst als „hoch kapitalisierte, traditionsreiche deutsche Bank“ be­schreibt. Ein Märchen, wie es im Buche steht, hat diese Bank auch ihren Kunden erzählt: Die Sicherheit der Kundeneinlagen habe oberste Priorität, und von Bremen aus sei man seit Generationen zuverlässiger Partner für Privatkunden und kleinere und mittelständische Unternehmen. Und in der Tat schien die 1927 gegründete Bank zuletzt eine märchenhafte Entwicklung zu nehmen: Die Bilanzsumme sprang von 338 Mill. Euro im Jahr 2017 auf 3806 Mill. im Jahr 2019, es wurden mit 21 Mill. Euro endlich wieder schwarze Zahlen geschrieben, und die Mitarbeiterzahl wuchs von 58 (2017) auf 137 (Januar 2021). Zu schön, um wahr zu sein, befand freilich die Finanzaufsicht BaFin und beendete am Donnerstag mit dem verhängten Moratorium die Greensill-Mär vom nachhaltigen Geschäftsmodell.

Seither erzählen die in den Fall involvierten Institutionen dem staunenden Publikum unterschiedliche Versionen dieser vorschnell ins Wirecard-Genre gesteckten Geschichte. Natürlich gibt es Parallelen. Sie bestehen vor allem im Mehrfachversagen von Aufsehern, Bilanzprüfern und Governance. Doch hinsichtlich Dimension und Kreis der Geschädigten gibt es deutliche Unterschiede.

Schon vor dem Wirecard-Skandal stand die deutsche Finanzaufsicht BaFin in der Londoner City im Ruf, ein zahnloser Tiger zu sein. Einerseits wegen des gesetzlichen Rahmens, der längst nicht mehr der dynamischen Entwicklung der Finanzmärkte und ihrer zunehmend internationalen Akteure gerecht wurde, andererseits wegen ihrer verkrusteten, die Entstehungsgeschichte aus drei separaten Aufsichtsbehörden spiegelnden Struktur. Diese faktische Regulierungsarbitrage war eine stehende Einladung an wagemutige wie auch waghalsige Finanziers, ihre Geschäfte in und über deutsche Gesellschaften zu betreiben.

Storytelling für Anleger

Und so entdeckte der australisch-britische Finanz-Entrepreneur Lex Greensill im Jahr 2014 in der deutschen Finanzlandschaft ein hässliches Entlein namens Nordfinanz Bank. Das hatte zuvor unter der Herrschaft diverserer öffentlich-rechtlicher Gesellschafter arg gelitten. Die Bank und ihr Geschäftsmodell waren in die Jahre gekommen wie weiland die in Bremen Zuflucht suchenden Stadtmusikanten. Doch mit dem neuen Storytelling der Lieferkettenfinanzierung, des Reverse Factoring, und der damit angeblich sicheren Rendite für Einleger schien die nun als Greensill Bank firmierende einstige Nordfinanz zur Goldmarie zu werden. Nicht zuletzt, als 2019 auch noch große Kapitalspritzen der japanischen Softbank und Anlegergelder milliardenschwerer Credit-Suisse-Fonds die Bilanz aufpäppelten. Die dergestalt aufgehübschte Bank blieb der BaFin nicht verborgen, und im Familienverbund der privaten Banken fiel sie den Prüfern der Einlagensicherung ins Auge. Doch so intensiv die Prüfer beider Institutionen sich die Bilanzen, Zahlungsströme und Geschäftsbeziehungen auch an­schauten – so richtig Alarm schlagen wollten beide nicht.

Selbst als Nachrichtenagenturen und auch die Börsen-Zeitung im August 2020 über die Prüfungen von BaFin und Einlagensicherung berichteten und die vermuteten Klumpenrisiken im Kreditportfolio thematisierten, geschah erst mal nichts. Weder warf der Bankenverband trotz festgestellter Probleme die Bank aus der Einlagensicherung, die pro Kunde knapp 75 Mill. Euro Schutz verspricht, allerdings nicht für institutionelle Kunden und Kommunen, noch zog die BaFin nach der Sonderprüfung die Reißleine.

Es bedurfte erst der Berichterstattung in der „Financial Times“ – Wirecard lässt grüßen. Mitte Februar 2021 berichtete die Zeitung über das nicht neue Verlangen der BaFin, die Ausleihungen der Bank an Unternehmen, die mit dem britisch-indischen Unternehmer Sanjeev Gupta in Verbindung stehen, zu reduzieren. Auf Guptas Familienholding entfielen zeitweise zwei Drittel der Forderungen. Als dann Ende Februar bekannt wurde, dass mit Credit Suisse der größte Geldgeber der Mutter Greensill Capital offenbar Zweifel am Wert des Handelsfinanzierungsgeschäfts habe und gut 10 Mrd. Dollar schwere Supply-Chain-Fonds von CS den Handel von Anteilen vom 1. März an aussetzen würden, kam die Sache ins Rollen. Es folgten der Insolvenzantrag der Obergesellschaft in Australien und das Moratorium der BaFin in Deutschland.

Was sind die Lehren? Erstens ist die vom Gesetzgeber vorbereitete Reform der BaFin an Haupt und Gliedern überfällig. Zweitens müssen die nationalen Aufseher international beaufsichtigen, sprich viel enger zusammenarbeiten. Die Greensill Bank war trotz ihres gepflegten Lokalkolorits Finanzierungsvehikel eines international operierenden Finanzverbundes. Drittens müssen höhere Anforderungen an Transparenz, Governance und Haftung auch bei Töchtern ausländischer Finanzgesellschaften gestellt werden.

Gier und Finanzhasardeure

All das wird freilich nicht verhindern, dass die Gier auf Seiten der Anleger immer wieder Finanzhasardeuren in die Hände spielt, und sei es nur um den Vorteil weniger Basispunkte beim Zins. Erschreckend ist, dass insbesondere Stadtkämmerer aus der Lehman-Pleite so wenig gelernt haben und rund 50 Kommunen Steuergelder bei Greensill geparkt haben – angeblich, um dem Negativzins der „normalen“ Institute zu entgehen. Diese Gelder dürften perdu sein. Den Schaden haben die Steuerzahler. Und vor allem die privaten Banken und ihre Kunden, die am Ende die Kosten für die gesetzliche Einlagensicherung von 100000 Euro pro Kunde tragen und im Fall Greensill auch den Einlagensicherungsfonds der privaten Banken. Alles in allem wohl gut 3 Mrd. Euro. Deshalb ist es höchste Zeit, dass der Gesetzgeber aus den Finanzskandalen Konsequenzen zieht und mit Hilfe einer starken Finanzaufsicht den vielen Märchenerzählern in der Finanzwelt genauer aufs Maul schaut.

c.doering@boersen-zeitung.de