Notiert inFrankfurt

Abschied vom Hinterzimmer

Schweigen ist Gold. Oder zumindest Geld. Und Vertraulichkeit ist der Anfang von allem. Aber bitte schön in professioneller Form. Mit Empty Desk Policy und Non Disclosure Agreement. In geschützten Konferenzräumen. Und schon lange nicht mehr im Hinterzimmer.

Abschied vom Hinterzimmer

Notiert in Frankfurt

Abschied vom Hinterzimmer

Von Detlef Fechtner

Für manche Banker ist die Höhe des Gehalts der Maßstab dafür, wie weit sie es in ihrer Karriere geschafft haben. Für andere ist es die Unterzeile auf ihrer Visitenkarte – also die Frage, ob man sich Global Head oder Vice President nennen darf. Unter uns: Der eigentliche Goldstandard für den beruflichen Aufstieg ist die Zahl der NDAs, die man unterzeichnen muss, also der Non-Disclosure Agreements. Denn: Wer keine Verschwiegenheitserklärungen abgeben muss, der kann in der Hierarchie ja nicht so wichtig sein, schließlich weihen ihn die Chefs nicht in die entscheidenden Geheimnisse ein.

Neulich war ich Zeuge eines Wiedersehens von zwei alten Studienfreunden, die sich sage und schreibe 25 Jahre nicht gesehen hatten und mittlerweile bei unterschiedlichen Investmentbanken im M&A-Geschäft arbeiten. Nach einer sehr herzlichen, geradezu bewegenden Begrüßung fragte der eine: „Und beruflich?“ „Ja, viel zu tun. Und selbst?“ „Ach ja, läuft.“ Das war es dann aber auch schon gewesen, was den Austausch übers Berufliche anging. Den ganzen Abend fiel kein Wort mehr über die Arbeit. Als der eine der beiden, der viel mit Autoherstellern zu tun hat, ankündigte, er müsse morgen lange Zug fahren, um einen Kunden zu besuchen, fragte ich: „Wolfsburg oder Ingolstadt?“ – erntete aber nur ein mildes Lächeln.

Schweigen ist Gold. Oder zumindest Geld. Nicht Vertrauen ist der Anfang von allem. Sondern Vertraulichkeit. Und zwar in professioneller Form, entsprechend den Compliance-Regeln. Mit Empty-Desk-Policy und Non-Disclosure Agreement. Und Zusammenkünften in geschützten Konferenzräumen. Die Zeiten von Geheimtreffen in Hinterzimmern von Hotels neigen sich dem Ende zu. Schade – aus Sicht von Journalisten. Denn die konspirative Art, wie viele Jahre lang wichtige Transaktionen vorbereitet wurden, verleiht Geschichten über diese Deals die nötige Farbe. Etwa, wenn Beteiligte von damals erzählen, wie in den Neunzigern der Zusammenschluss von Ciba-Geigy und Sandoz zu Novartis eingefädelt wurde. Das Projekt hatte natürlich einen Decknamen: Rio Grande. Und es war sogar verboten, sich in Nachtsitzungen eine Pizza zu bestellen, weil das hätte auffallen können. Oder die Übernahme der Dresdner durch die Allianz. Die “Operation Regenschirm”. Viel Stoff für blumige Geschichten.

Geheime Treffen zwischen Verhandlungspartnern solcher Deals fanden früher oft in Hotels oder Logen statt. In der Villa Kennedy. In der Villa Bonn. In der Villa Merton. Und natürlich am Flughafen, im Steigenberger Airport. Oder im Frankfurter Airport Club in den oberen Etagen des Frankfurter Airport Centers – viele Jahre lang eine der ersten Adressen, wenn es um den vertraulichen Austausch zwischen Managern ging. Medienberichten zufolge ist der Airport Club mit seinen Konferenzräumen und dem Sekretariatsservice nun zahlungsunfähig. Als Hauptgrund werden die Folgen der Pandemie genannt, also die Verlagerung vieler Kontakte auf digitale Plattformen. Zudem sind viele Banken aus Kostengründen strenger geworden, was die Fliegerei ihrer Mitarbeiter angeht. Ob es an der Pandemie, am Siegeszug von Webex & Co. oder am Sparkurs von Banken liegt: Treffen am Flughafen scheinen unter heutigen Führungskräften schlichtweg nicht mehr so en vogue zu sein wie in den Hochzeiten der Airport Clubs vor 20 Jahren.

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