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Abseits des Tourismus-Trubels in Italien

Italien litt in diesem Sommer vor allem in den Kunststädten und in vielen Top-Destinationen unter dem Phänomen des Overtourism. Das Val d’Aveto setzt mit Wildpferden und alpiner Landschaft auf sanften Tourismus.

Abseits des Tourismus-Trubels in Italien

Notiert in Mailand

Abseits des Trubels

Von Gerhard Bläske

Es ist heiß, doch der Sommer geht auch in Italien zu Ende. Nach drei Monaten Ferien kehren die Schüler auf die Schulbänke zurück. Das Parlament nimmt seine Arbeit wieder auf. Die Beschäftigen sind wieder an ihren Arbeitsplätzen. Es war ein ungewöhnlicher Sommer. Kühle Perioden mit Regen im Mai und Juni wechselten sich ab mit zwei Hitzewellen im Juli und Ende August und dazwischen einer ungewöhnlichen Schlechtwetterperiode schon früh im August. Und es gab viele Naturkatastrophen: Hagel, Regen, Überschwemmungen und Stürme.

Die Tourismusbilanz fällt gemischt aus. Bis in den Juli hinein schien Italien auf einen Rekordsommer zuzusteuern. Doch dann brach der Boom ab. 41% der Italiener verreisten gar nicht. Andere zog es wegen teilweise stark gestiegener Preise in billigere Nachbarländer wie Montenegro, Griechenland oder nach Spanien. Sehr gefragt war in diesem Jahr auch Albanien. Selbst Premierministerin Giorgia Meloni fuhr von ihrem Urlaubsresort in Apulien für einige Tage mit der Fähre in das nur wenige Kilometer entfernt liegende Albanien. Dagegen waren an vielen italienischen Orten selbst an Ferragosto (Mariä Himmelfahrt), dem Höhepunkt der Saison, noch Unterkünfte zu haben.

Luxustourismus als Gewinner

Die Saison gerettet haben die ausländischen Gäste, allen voran die Amerikaner. Prominente wie Jeff Bezos, Robbie Williams, Leonardo DiCaprio und andere zog es vor allem an den Golf von Neapel, nach Capri, Ischia oder Positano. Die Toskana und Städte wie Rom, Mailand, Florenz oder Venedig wurden geradezu überrannt. Vor allem das Luxussegment gehörte zu den Gewinnern: Schätzungen zufolge werden in diesem Jahr 11,7 Millionen Reisende in Fünf-Sterne-Häusern nächtigen. Der Luxussektor steht für 25% der Gesamtausgaben der ausländischen Touristen, rund 25 Mrd. Euro.

Überfüllte Städte und Touristen-Hotspots zeigten auch die Grenzen des Tourismus auf, Stichwort Overtourism. Erholung und Entspannung finden Urlauber oft nur wenige Kilometer von völlig überlaufenen Orten wie Portofino entfernt.

Oberhalb des Badeorts Chiavari in Ligurien, eine halbe Stunde Fahrzeit mit dem Auto entfernt, wirkt die Landschaft auf über tausend Höhenmetern alpin: Es gibt hier Weiden und Wiesen, Wälder und den Stausee von Giacopiane. In der Ferne leuchtet die Küste tiefblau.

Wildpferde in Italien

Doch die Hauptattraktion sind die Wildpferde – eine absolute Seltenheit in Europa. Das fast menschenleere und bergige Hinterland Liguriens bietet idealen Lebensraum für die knapp hundert Tiere, die in mehreren Herden im Val d’Aveto leben. Nach dem Tod ihres früheren Besitzers vor 30 Jahren sind sie verwildert, leben völlig autonom, ernähren sich von Wildkräutern und Gras und fressen sich im Sommer eine Fettschicht an, die sie auch in den manchmal harten Wintern überleben lässt. Den Kontakt zum Menschen haben sie fast völlig verloren.

Evelina Isola von der Organisation Rewild Liguria bemüht sich darum, dass die Pferde möglichst ungestört leben können. Das ist keine leichte Aufgabe. Denn im Sommer fahren Ausflügler mit ihren Autos hier herauf, grillen und feiern. Das stört die Ruhe der Tiere. Auch gibt es bisweilen Konflikte mit privaten Landbesitzern, weil die Tiere angeblich Zerstörungen anrichten. „Es bräuchte einen Schutz möglichst auf nationaler oder internationaler Ebene“, meint Isola. Doch Bestrebungen in diese Richtung blieben bisher ergebnislos.

Isola träumt von einem sanften Tourismus mit Wanderbegeisterten und Naturliebhabern, die in einfachen Unterkünften leben. Davon gibt es bereits einige. Ein anderer Tourismus als der Massentourismus unten an der Küste.

„Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, welchen Wert diese Ressource hat“, sagt Lilli Lauro, Abgeordnete im ligurischen Regionalrat. Nach ihrer Ansicht muss der Zugang limitiert werden, um das einzigartige Areal, in dem die Pferde leben und das sich über 35 Quadratkilometer erstreckt, effektiv schützen zu können. Doch in Italien mahlen die Mühlen langsam.

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