Notiert inLondon

Abstieg einer Topadresse

Ein über Soziale Medien verbreiteter Aufruf, die Niederlassung von JD Sports auf der Oxford Street zu plündern, sorgte kurzzeitig für Aufsehen. Die Polizei griff konsequent durch. Doch der Niedergang der einstigen Topadresse lässt sich auf diese Weise nicht aufhalten.

Abstieg einer Topadresse

Notiert in London

Abstieg einer Topadresse

Von Andreas Hippin

Für Londons Bürgermeister Sadiq Khan waren die über Soziale Medien verbreiteten Aufrufe, die Niederlassung der Sportartikelkette JD Sports und andere Geschäfte in der Oxford Street zu plündern, lediglich „nonsense“. Er forderte die Bewohner der britischen Metropole auf, sich nicht daran zu beteiligen. Die Initiatoren hatten ihrem Publikum empfohlen, Sturmhauben und Handschuhe zu tragen. „Wenn du nicht rennen kannst, komm nicht“, hieß es online. Die Polizei nahm den aus den Vereinigten Staaten importierten Trend wesentlich ernster, erhöhte ihre Präsenz rund um die einstige Londoner Shopping-Topadresse enorm und schuf sich die Möglichkeit, nicht genehmigte Versammlungen per „dispersal order“ aufzulösen. „Uns ist bewusst, dass online über Gelegenheiten spekuliert wird, rund um Oxford Street Straftaten zu begehen“, twitterte die Polizei von Westminster. Man werde antisoziales Verhalten nicht dulden. U-Bahnstationen wurden vorübergehend geschlossen. Eine ganze Reihe von Personen erhielt Platzverweise, darunter ein durchaus talentierter 18-jähriger Selbstdarsteller, der sich mit großem Erfolg auf Tiktok vermarktet. Am Ende kamen zahllose Jugendliche, mehrheitlich wohl um sich das zu erwartende Spektakel anzusehen. Vor einem McDonalds kam es zu Tumulten. Boots und Sports Direct schlossen vorübergehend die Pforten, als es zu Auseinandersetzungen auf der Straße kam. Die Presse bekam Bilder von Jagdszenen und knüppelschwingenden Beamten. Alles in allem wurden neun Personen festgenommen. Innenministerin Suella Braverman forderte die Polizei auf, die Hintermänner ausfindig zu machen. „Wir können nicht zulassen, dass die Gesetzlosigkeit, die in manchen US-Städten zu beobachten war, auf die Straßen des Vereinigten Königreichs kommt“, sagte Braverman.

Weniger als einen Tag darauf kursierte ein Aufruf, ins nahegelegene Southend-on-Sea in Essex zu kommen. „Get lit“ – eigentlich eine Einladung, Party zu machen. Die Gegend zwischen Bahnhof und Strand wurde mit einer „dispersal order“ belegt, um Jugendliche auseinandertreiben zu können, die Polizeipräsenz aufgestockt. Wer nach Southend kommen wolle, um Ärger zu machen, solle es sich zweimal überlegen, sagte Polizeichef Waheed Khan. Das werde nicht toleriert. Die Polizei schickte zahlreiche Jugendliche mit Sturmhauben gleich am Bahnhof zurück nach London. Hunderte waren gekommen. Ein Video zeigt, wie Beamte vor dem Freizeitpark Adventure Island in Southend mit dem bereits erwähnten Tiktok-Star sprechen. Zu den menschenverachtenden und niederträchtigen „Streichen“, denen er seine Beliebtheit verdankt, gehörte, einer nichtsahnenden alten Dame in einem Park ihren Hund wegzunehmen und mit seinen Freunden uneingeladen in die Häuser fremder Menschen einzudringen. Dass er nach alledem mit einer kleinen Geldstrafe davonkam, kommentierte er bei einem Fernsehauftritt, den ihm sein Kultstatus eingebracht hatte, wie folgt: „Ganz einfach: Die britischen Gesetze sind schwach, und das ist nicht meine Schuld.“

Der nächste Aufruf ließ nicht lange auf sich warten. Nun wurde nach Bexleyheath im Londoner Südosten mobilisiert. Auch hier gab es Ängste vor Plünderungen und kriminellen Banden. Die Ordnungskräfte gingen ähnlich vor wie bereits in Westminster und Southend. Nun sind Flashmobs im Grunde nichts Neues. Aber hier geht es um etwas anderes als darum, die Geburtstagsparty eines verhassten Mitschülers zum unvergesslichen Erlebnis zu machen. Es sind auch keine Nachttanzdemos oder anderweitigen politischen Proteste, sondern kaum verschleierte Aufrufe, im Schutze einer großen Menschenmenge Straftaten zu begehen. Je schneller diesem Trend ein Ende gesetzt wird, desto besser. Sacha Berendji, Operations Director bei Marks & Spencer, nannte die Ereignisse in der Oxford Street „eine weitere Erinnerung daran, wie schlecht die Lage ist“. Das einstige Kronjuwel unter den Einkaufsvierteln werde nun durch „leere Ladengeschäfte, zugemüllte Straßen und weniger Besucher“ charakterisiert.

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