LEITARTIKEL

Anfang gut, Ende glücklich?

Hast du bei einem Werk den Anfang gut gemacht, das Ende wird gewiss nicht minder glücklich sein. Davon ist die große Mehrheit der Analysten mit Blick auf die Transformation von Nestlé durch den Anfang 2017 angetretenen CEO Mark Schneider überzeugt -...

Anfang gut, Ende glücklich?

Hast du bei einem Werk den Anfang gut gemacht, das Ende wird gewiss nicht minder glücklich sein. Davon ist die große Mehrheit der Analysten mit Blick auf die Transformation von Nestlé durch den Anfang 2017 angetretenen CEO Mark Schneider überzeugt – auch wenn Sophokles, als er den Aphorismus prägte, sicher nicht an organisches Wachstum, Ergebnissteigerung und Margenausweitung dachte. Nach drei Jahren ist der Chef des weltgrößten Lebensmittelkonzerns zwar nicht ganz so weit, wie er bei seinem Amtsantritt in Aussicht gestellt hatte, aber die erzielten Fortschritte sind beachtlich.Schneider war geholt worden, um Tempo und Intensität des stets im Wandel befindlichen Industriegiganten zu forcieren. Zuvor war Nestlé zwar gewachsen, doch die wichtigste der bis 2017 gültigen Vorgaben – zwischen 5 und 6 % organisches Wachstum – war vier Mal in Folge verfehlt worden. Schneider schaffte es mit einem rhetorischen Kniff, dieses Ziel aufzuweichen und abzuschwächen, ohne es aufzugeben. Die neue Vorgabe war ein mittleres einstelliges organisches Wachstum. Er war aber nicht so vermessen zu glauben, dass sich dies mit einem Konzern von der Größe Nestlés über Nacht realisieren ließe, wenn man mit 3,2 % (2016) das geringste Wachstum seit der Jahrtausendwende im Gepäck hat. Daher setzte er als Deadline 2020. Diese Frist wird er nicht einhalten.Ein Grund ist die anhaltende Schwäche im Wassergeschäft (z.B. Vittel, San Pellegrino, Perrier). Hier sollen die Reorganisation und eine angekündigte neue Strategie für Besserung sorgen. Der andere Grund sind die sich eintrübenden Geschäftsaussichten in China. Das Reich der Mitte ist mit einem Umsatzanteil von 7,5 % der zweitgrößte Markt von Nestlé hinter den USA (31 %). Dass es in China nicht rund läuft, hat mehrere Ursachen. Erstens die Maßnahmen der Regierung, um die grassierende Coronavirus-Epidemie einzudämmen. Diese führen zu sinkenden Konsumausgaben. Zudem musste die Produktion in mehreren Nestlé-Werken ausgesetzt werden; sie läuft erst langsam wieder an. Zweitens waren zuletzt die Säuglingsnahrung der Schweizer sowie Produkte der Marken Yinlu und Hsu Fu Chi in China weniger gefragt.Während die Epidemie, wie alle hoffen, in nicht allzu ferner Zukunft Geschichte sein wird, deutet viel darauf hin, dass die Absatzschwäche von Nestlés chinesischen Marken ein nachhaltiges Problem ist. Mit den beiden Mehrheitsübernahmen in China – 2011 wurde erst Yinlu Foods, dann der Süßwarenhersteller Hsu Fu Chi gekauft – hatte Nestlé kein Glück. Die Yinlu-Produkte, u. a. Erdnussmilch und -butter sowie Reisbrei, sind nicht mehr gefragt; lokale Konkurrenten laufen ihnen den Rang ab. Auch die Nachfrage nach Süßigkeiten von Hsu Fu Chi schwächelt. Schneider räumte ein, dass sich die Unternehmen enttäuschend entwickelt haben. Angeblich prüfen die Schweizer nun einen Verkauf.Die Investoren sind trotzdem zuversichtlich für Nestlé. Die Bilanz für 2019 liefert dafür gute Gründe. Der Nahrungsmittelkonzern erzielte mit 3,5 % das stärkste organische Wachstum seit vier Jahren, und das für 2020 angepeilte Plus im mittleren einstelligen Prozentbereich verschob Schneider um lediglich ein bis zwei Jahre nach hinten. Damit kann der Markt leben, denn der CEO hat sich u. a. mit der vorzeitigen Erreichung des Renditeziels Vertrauen verdient: Die operative Gewinnmarge erreichte bereits im Vorjahr 17,6 % und lag damit in der Spanne von 17,5 bis 18,5 %, die Schneider erst für 2020 avisiert hatte.Auch der Umbau des Portfolios kommt voran: Über 50 Transaktionen wurden seit 2017 abgeschlossen oder vereinbart. Die Verkäufe von Assets, die nicht den Wachstums- und Renditeansprüchen genügten oder nicht mehr zum Kerngeschäft zählten, stehen für einen Anteil am Konzernumsatz von 12 %. An den M&A-Aktivitäten könnte es allerdings künftig mehr Kritik geben: Zwar schließt der Konzernchef größere Übernahmen nicht aus, am vielversprechendsten seien aber kleinere und mittelgroße Zukäufe. Doch mit Akquisitionen im Millionen-Bereich wird Nestlé, die 2019 über 87 Mrd. Euro umsetzte, nie den großen Sprung machen, auf den der Markt seit vielen Jahren wartet.Nestlé versucht, dem Trend zu gesünderer Ernährung gerecht zu werden und dadurch Wachstumspotenziale zu heben. Für die Süßwarensparte (Kitkat, Nuts, Lion, Smarties etc.) verheißt das jedoch nichts Gutes. Ohnehin lag hier das organische Wachstum 2019 bei mageren 1,9 %; es wurde nur vom Wassergeschäft mit 0,7 % unterboten. Bleibt Schneider seiner Linie treu, dürften hier weitere Desinvestments anstehen. ——Von Martin DunzendorferInsgesamt ist Nestlé auf einem guten Weg. Doch CEO Mark Schneider muss die Schwächen in China, mit Mineralwasser und Süßwaren in den Griff kriegen.——