LEITARTIKEL

Beschleunigung

Als historisch geltende Branchenumbrüche veranlassen Dax-Konzerne, die von Familien dominiert werden, zu Wechseln an der Führungsspitze. Sanierungsfälle waren weder Volkswagen noch BMW, als in den vergangenen beiden Jahren neue Vorstandschefs...

Beschleunigung

Als historisch geltende Branchenumbrüche veranlassen Dax-Konzerne, die von Familien dominiert werden, zu Wechseln an der Führungsspitze. Sanierungsfälle waren weder Volkswagen noch BMW, als in den vergangenen beiden Jahren neue Vorstandschefs berufen wurden. Ungeachtet der letztjährigen Gewinnwarnung gehört Henkel der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY zufolge weiterhin zu den margenstärksten börsennotierten Unternehmen in Deutschland. Ebenso Beiersdorf. Familieneigentümer wie Porsche und Piëch, Quandt, Henkel und Herz treibt die Sorge um, ob ihre Unternehmen in Anbetracht von Technologiewechseln und Digitalisierung mit dem Spitzenpersonal richtig aufgestellt sind oder ob sie neue Impulse benötigen, um Marktpositionen und Rentabilität langfristig halten und ausbauen zu können.Augenfällig ist in den genannten Fällen die Parallele, dass die Familien nicht auf frischen Wind durch einen von außen kommenden Chef setzten, sondern auf Nachfolger mit Konzernerfahrung. Marktreaktionen auf die Entscheidungen fielen unterschiedlich aus. Vergleichsweise geräuscharm übernahm vor Jahresfrist Stefan De Loecker den Vorstandsvorsitz bei Beiersdorf. Der 52 Jahre alte Belgier, seit 2014 im Vorstand und bis zum Wechsel an die Spitze für das Geschäft in Wachstumsmärkten Asiens und Amerikas verantwortlich, löste den seit 2012 amtierenden Stefan Heidenreich ab. Der 56-Jährige, der sich vor allem mit der Aufgabe befassen musste, das Geschäft mit der Kernmarke Nivea in Schwung zu bringen, schied mit einer ansehnlichen Erfolgsbilanz ein Jahr vor Vertragsablauf aus.Nach der Verunsicherung, die mit der Ankündigung des Führungswechsels und mit der Ende Februar verkündeten Adjustierung der Konzernstrategie einherging, hat Beiersdorf bei Anlegern rasch wieder Vertrauen gefunden. Nach einem Kursverlust im Jahr zuvor um 6,9 %, der geringer ausfiel als der Dax-Rückgang (-18,3 %), legte die Aktie 2019 um 17 % zu. Bei dem im September erreichten Allzeithoch von 117,25 Euro lag der Kursgewinn sogar über dem ganzjährigen Dax-Plus von 25,5 %. Dass das erste Jahr nach der Veränderung an der Konzernspitze für die Hamburger an der Börse erfolgreich verlief, ist neben dem beibehaltenen Wachstum im grundlegenden Geschäft maßgeblich auf erste Entscheidungen nach Vorstellung des weiteren strategischen Kurses zurückzuführen.So hat sich Beiersdorf mit der im Mai vereinbarten, 550 Mill. Dollar teuren Coppertone-Übernahme Zugang zum weltgrößten Sonnenschutzmarkt USA verschafft. Die erste Akquisition im Konzernbereich Consumer seit 2007 erhöht den Umsatzanteil des unterrepräsentierten Nordamerikageschäfts. Zugleich belegt Beiersdorf mit dem Erwerb, dass M&A tatsächlich Teil der Strategie ist, und begegnet mit dem teuersten Zukauf der Firmengeschichte der Kritik, keine Verwendung für den in den vergangenen Jahren auf über 4 Mrd. Euro angewachsenen Cash-Berg zu finden. Signale, dass Mehrheitsaktionär Herz eine Anhebung der seit 2009 unveränderten Gewinnausschüttung fordern könnte – Beiersdorf gehört zu den Dax-Werten mit der niedrigsten Dividendenrendite -, gibt es nicht.Auch die Einführung der ersten neuen Beiersdorf-Marke seit über 30 Jahren und die Lancierung einer Pflegeserie für tätowierte Haut, die Bereinigung der C-Bons-Akquisition im Jahr 2007 mit dem Verkauf des verlustträchtigen Slek-Haarpflegegeschäfts in China sowie der lange hinausgezögerte Einstieg in den schnell wachsenden Naturkosmetikmarkt zeigen, dass Beiersdorf unter Führung des neuen Vorstandsvorsitzenden schneller Gelegenheiten für neue Wachstumsimpulse nutzen und renditeverwässernde Effekte vermeiden will. Um 2023 die in Aussicht gestellten höheren operativen Margenziele im Consumer-Segment zu erreichen, das für gut vier Fünftel der Konzernerlöse steht, muss sich aber vor allem auch die Qualität des Wachstums weiter verbessern. Innovationen müssen werthaltiger werden, sie müssen Mehrwert bieten. Zur Steigerung der Bruttomargen wird es in den nächsten Jahren noch mehr auf richtige Portfolioentscheidungen ankommen.——Von Carsten SteevensIm ersten Jahr mit neuem Vorstandschef hat Beiersdorf Vertrauen gewonnen. Die Qualität des Wachstums muss weiter zunehmen. ——