Notiert inSchanghai

Bühne frei für die Schmuse-Echse

Das Jahr des Drachens naht. Unbedarfte Westler sehen im mythologischen Fabeltier ein furchterregendes Monster. Ist aber gar nicht so gemeint. Der chinesische Drache hat im eigenen Land ein kuscheligeres Image.

Bühne frei für die Schmuse-Echse

Notiert in Schanghai

Bühne frei für die Schmuseechse

Von Norbert Hellmann

Nur noch wenige Tage, bis ein neues chinesisches Jahr anbricht. Der Hase hoppelt von dannen, ihm folgt der Drache, das edelste und mit Abstand populärste Tierkreiszeichen im Mondkalender. Chinesen steht ein „Lieblingsjahr“ ins Haus. Der Drache ist das einzige mythologische Wesen unter den 12 Tiersymbolen und gleichzeitig eine Ikone, die den Geist der chinesischen Nation verkörpern soll. Das buchte ihm früher einen festen Platz auf den Gewändern chinesischer Kaiser. Kein Wunder, dass die anderen überwiegend ordinären Viecher wie Ratte, Hund, Schaf, Huhn oder Ochse auf der Beliebtheitsskala nicht mithalten können.

Auf Chinesisch heißt das Fabeltier „Long“, ein durch und durch mit positiven Assoziationen besetztes Wort, das Männern einen guten Vornamen spendet und garantiert nichts mit der Charakterisierung von Schwiegermüttern zu tun hat. Zum Kummer von chinesischen Kulturforschern kommt die Message im Westen nicht so richtig an. Dort kennt man den Drachen halt als geflügeltes feuerspeiendes Echsenmonster, das zu erlegen es eine Heldenfigur à la Siegfried braucht.

In der chinesischen Mythologie ist der Drache ein komplexes Wesen mit anderen Tieren entlehnten Elementen, darunter Adlerkrallen, Tigerpfoten, Ochsenohren, Hasenaugen, Fischschuppen und Hirschhörner. Ein fliegender Tausendsassa, von dem Gutes berichtet wird. Er beschützt nämlich das Volk und seine Bauern und kann nicht nur Feuer, sondern vor allem jede Menge Wasser speien und damit Felder befruchten.

Wer den chinesischen Drachen als beißwütiges Monster aus Fernost ansieht, verkennt also die tiefgründigen Befindlichkeiten, die Chinas Schmuseverhältnis mit der Multi-Tasking-Echse erklären. Ein Fall von „Lost in Translation“, für den man übrigens Marco Polo verantwortlich machen muss. Er hat „Long“ einst mit dem lateinischen Wort „Draco“ übersetzt. Aus der Sinologen-Perspektive ein drakonischer, imageschädigender Fauxpas. Damit sind die die sympathischen Seiten des fliegenden Klimaausgleichsexperten, der sich für harmonische Balance zwischen Mensch und Natur verbürgt, glatt unterschlagen worden.

Das Gute im Drachen soll sich nun bald auch auf Chinas Börsen übertragen. Über das Hasenjahr hinweg haben von Konjunktur- und Immobilienmarktsorgen verängstigte China-Anleger nur zaghaft an Aktienwerten geknabbert, um bei jeder Wirtschaftsdatenzuckung blitzschnell wieder aus dem Markt zu flüchten. Nun wird es höchste Zeit, den Drachen als Regenmacher und Wohlstandsbringer ans Werk gehen zu lassen.

Für heimische Anleger ist ein Drachenjahr per se ein Grund, neue Hoffnung zu schöpfen. Aber auch ausländische Investoren, die im Hasenjahr zögerlicher denn je waren, dürfen sich jetzt einen Ruck geben. Trotz kulturellen Dickichts bei Drachenmotiven findet sich die passende Handlungsmaxime im angelsächsischen Börsenjargon sogar direkt wieder: Im Drachenjahr also bitte immer schön „Long“ in China-Aktien gehen!

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.