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Chaos an Amerikas Flughäfen

Die Nerven an Amerikas Flughäfen liegen blank. Schuld sind dabei nicht nur Defekte beim Flugzeugbauer Boeing, sondern auch extrem lange Wartezeiten am Grenzschutz nach den Weihnachtsferien. Diese sind symptomatisch für die Trägheit und Ineffizienz amerikanischer Behörden.

Chaos an Amerikas Flughäfen

Notiert in New York

Chaos an Amerikas Flughäfen

Von Alex Wehnert

New York, Flughafen John F. Kennedy, Terminal 4: Die Stimmung könnte auch dann nicht angespannter sein, wenn Bruce Willis alias John McClane hereinplatzte und sich im Stile des zweiten Teils der „Stirb langsam“-Reihe eine Schießerei mit zur dunklen Seite übergelaufenen Ex-Militärs lieferte. Denn Hunderte Reisende warten stundenlang darauf, in die Nähe der Grenzkontrolle zu kommen: Manch einer, der um 10.33 Uhr mit Singapore Airlines aus Frankfurt gelandet ist, soll an diesem Samstag im Januar bis 14 Uhr noch nicht die Spur seines Gepäcks gesehen haben.

In der Schlange wird jeder Zentimeter Raumgewinn so frenetisch gefeiert wie bei einer Sheffielder Rugby-Partie. In die Jubelrufe über das Vorwärtskommen mischt sich aber auch meutereilustiges Getuschel: „Wie kann es sein, dass hier nur zwei Schalter offen sind, obwohl gerade drei volle Maschinen aus Übersee gelandet sind?“, erkundigt sich ein Herr bei einer vorbeikommenden Mitarbeiterin der Grenzschutzbehörde CBP.

Behörde verweist auf Unterbesetzung

„Wir sind unterbesetzt“, knurrt die Dame zurück und ruft Passagiere auf, die den 13-Uhr-Anschlussflug nach Puerto Rico bekommen müssen, ihr zu folgen. Findige deutsche Reisende, die eilends ihr Spanisch-Vokabular hervorkramen und sich der CBP-Vertreterin in der Hoffnung anschließen, die Schlange überspringen zu können, müssen in Anbetracht ihres Mangels an einem gültigen Ticket nach San Juan enttäuscht umdrehen – und feststellen, dass sie ihren Platz im Warte-Schweinepferch des Grenzschutzes verloren haben.

Das Chaos ist symptomatisch für die Ineffizienz und Trägheit der US-Behörden. Das Problem am Flughafen JFK ist wohl weniger eine Unterbesetzung als eine schlechte Planung. Wer die Augen offen hält, kann schließlich genügend CBP-Beamte erspähen, die sich nicht bemüßigt fühlen, mit anzupacken, um den Stau am Grenzschutz aufzulösen. Ins Bild passen auch die Schilder, die für das beschleunigte Einreiseverfahren Global Entry werben – mit dem Slogan „Worauf warten Sie noch?“. „Auf euch, ihr Eumel“, möchten da Antragssteller rufen, die sich im Oktober um einen Global-Entry-Interviewtermin bewarben und für März einen zugeteilt bekamen.

Unbegrenzte Wartezeiten

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten erscheinen vor allem die Wartezeiten grenzenlos. Die Zuteilung von Sozialversicherungsnummern kann mehr als ein halbes Jahr dauern, die Online-Bezahlfunktionen vieler Finanzbehörden funktionieren für neu veranlagte Steuerzahler seit Menschengedenken nicht. Sie sind gezwungen, ihre Zahlungen per Scheck einzureichen, den der United States Postal Service gerne prompt verschlampt. Auskünfte zu laufenden Verfahren: Häufig Fehlanzeige.

Fehlanzeige heißt es auch für die Reisenden, die es durch den Schweinepferch des Grenzschutzes geschafft haben, am Gepäckband. Denn ihre Koffer sind längst beiseite geräumt – wohin, weiß aber niemand so genau. Vom Glück begünstigte Fluggäste finden ihr Gepäck nach viertelstündiger Suche unbeaufsichtigt in einer Ecke der Halle.

Boeing schürt Ängste

Dabei ist es nicht so, als ob die Nerven an den US-Flughäfen nicht ohnehin blank lägen, nachdem eine Boeing 737 Max 9 der Alaska Airlines am Freitag nach dem Start in Oregon ein Kabinenteil verlor. Die Luftfahrtaufsicht FAA ordnete darauf eine Überprüfung von 171 Maschinen des Typs an, United Airlines fand lockere Schrauben an ihren Boeings. David Calhoun, CEO des Flugzeugbauers, betonte nun, Boeing müsse den eigenen Fehler bei dem Vorfall anerkennen, ohne diesen zu präzisieren.

Infolge des Alaska-Zwischenfalls kam es zu Hunderten Flugstornierungen. Reisende beschweren sich über lange Wartezeiten, eine mangelnde Erreichbarkeit von Airline-Kundendiensten und unangemessene Entschädigungsangebote. In den USA sind im Januar laut Cirium Aviation Analytics nahezu 20.000 Passagen mit Maschinen des Typs 737 Max 9 angesetzt. Das Vertrauen der Passagiere, nach tödlichen Unfällen der Boeing 737 Max 8 bereits angekratzt, erodiert dabei ebenso schnell wie die Geduld der Reisenden im Schweinepferch des Grenzschutzes am Flughafen JFK.

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