Notiert inTokio

ChatGPT erobert das Parlament

Während Italien die Nutzung des populären Chatbots verboten hat, sieht Japans Regierungspartei LDP darin einen möglichen Katalysator für höhere Produktivität und ein potenzielles Gegenmittel zur schrumpfenden Erwerbsbevölkerung.

ChatGPT erobert das Parlament

Notiert in Tokio

ChatGPT erobert das Parlament

Von Martin Fritz

Der weltweite Hype um ChatGPT hat auch Japan erfasst. Das „Large Language Model“, meist als „künstliche Intelligenz“ bezeichnet, feierte bereits sein Debüt im Parlament: Premier Fumio Kishida musste Fragen zu einem Gesetzentwurf zur Covid-19-Pandemiepolitik beantworten, die der Chatbot für den Abgeordneten Kazuma Nakatani von der oppositionellen Demokratischen Verfassungspartei entworfen hatte. 

Zwei Fragen der KI an Kishida lauteten: „Sind Sie der Ansicht, dass Sie die Meinung der lokalen Behörden und der Beschäftigten des Gesundheitswesens zu dem Gesetzentwurf ausreichend berücksichtigt haben? Und könnten Sie uns sagen, wie die Betroffenen darauf reagieren?“ Kishida parierte diese Fragen souverän. Darauf machte sich das Magazin „Tokyo Weekender“ den Spaß, den Chatbot seine eigenen Fragen beantworten zu lassen. Und siehe da: Diese Antworten stimmten weitgehend mit den Sätzen von Kishida überein. Hatte der Regierungschef etwa bei ChatGPT abgeschrieben?!

Kishida war jedenfalls gut vorbereitet. Denn die erste Auslandsreise von Sam Altman, CEO des KI-Start-ups OpenAI, seit der Veröffentlichung des Chatbots Ende November führte ihn nach Tokio. Dort erörterte Altman vor zwei Wochen mit Kishida und hochrangigen Beamten die Zukunft von ChatGPT in Japan. Der KI-Experte versprach eine enge Kooperation mit der Regierung, um die Privatsphäre und Sicherheit der Nutzer zu schützen. Altman deutete auch an, bald ein Büro in Japan zu eröffnen. 

Das Treffen im Premierministeramt hatte die Regierungspartei LDP organisiert. Ende März erarbeitete das Projektteam der Partei einen Gesetzentwurf für die Regulierung von generativen KI-Technologien wie ChatGPT. Diese KI-Werkzeuge sollen ein Katalysator für neues Wirtschaftswachstum werden, indem sie die Produktivität steigern und dadurch den Rückgang der Erwerbsbevölkerung lindern. Die LDP-Gruppe fordert eine „gründliche Nutzung durch die Regierung“. Sie sollte die Technologie versuchsweise selbst einsetzen, zum Beispiel bei der Beantwortung von parlamentarischen Anfragen. (Was darauf hinweist, dass Kishidas Antworten im Parlament womöglich tatsächlich von ChatGPT stammten.) 

Als erste Regierungsinstitution verwendet das Ministerium für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei den Chatbot, um offizielle Dokumente zu vereinfachen und leichter zugänglich zu machen, so Minister Tetsuro Nomura. ChatGPT übernimmt die Aktualisierung von Online-Handbüchern, die erklären, wie Anträge auf Subventionen und andere öffentliche Hilfsgelder auszufüllen sind. Jedes Jahr werden Tausende von Seiten an Vorschriften geändert. Die Anpassung der Dokumente ist nun an die KI ausgelagert. Auch die Verwaltung der Stadt Yokosuka verschaffte ihren 4.000 Mitarbeitern Zugang zu dem Textgenerator. Einen Monat lang sollen die Angestellten testen, ob sie auf diese Weise ihre Arbeitsbelastung verringern und Tätigkeiten schneller ausführen können. Als Beispiele nannte die Stadtverwaltung die Zusammenfassung von Dokumenten, das Schreiben von Verwaltungspapieren und die Ideensuche für Marketing-Aktivitäten.

Nach Angaben von Altman nutzen in Japan täglich über 1 Million Menschen ChatGPT. Anekdoten zufolge schreiben Sechstklässler damit ihre Aufsätze und Oberschüler ihre Englisch-Hausaufgaben. Im Arbeitsleben verfasst ChatGPT Präsentationen, Produktbeschreibungen und Bedienungsanleitungen. Die europäischen Bedenken über verringerten Datenschutz und gefährdete Arbeitsplätze sind in Japan wohl geringer ausgeprägt. Auf meine Frage nach seiner Einschätzung zu diesem Punkt schrieb mir der Chatbot: „Japan hat eine lange Geschichte der Entwicklung und Anwendung von Robotik und KI, aber die Akzeptanz hängt auch von anderen Faktoren ab. Aber Japans Bevölkerung und Unternehmen könnten aufgrund ihrer Offenheit gegenüber neuen Technologien bereit sein, ChatGPT in ihrem täglichen Leben und bei der Arbeit zu nutzen.“ Sic!