Im Blickfeld China Elektromobilität

Chinas E-Autorennen wird Peking zu riskant

Der Expansionshunger chinesischer E-Autobauer entlädt sich in einer Preisschlacht und Überkapazitäten, die die Branche gefährden. Nun will der Staat energischer eingreifen.

Chinas E-Autorennen wird Peking zu riskant

Chinas E-Autorennen wird Peking zu riskant

Der Expansionshunger chinesischer E-Autobauer entlädt sich in einer Preisschlacht und Überkapazitäten, die die Branche gefährden. Nun will der Staat energischer eingreifen.

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Dank der hohen Umdrehungen im E-Autogeschäft scheint Chinas Pkw-Markt auf ein neues Glanzjahr zuzusteuern. In der ersten Jahreshälfte kletterten die Fahrzeugverkäufe um mehr als 10% auf 15,6 Millionen. Ein zweistelliges Wachstum in Zeiten gedämpfter Konjunktur und schwacher Konsumverfassung kann sich sehen lassen. In den Vorstandsetagen chinesischer Branchenkonzerne und bei Chinas Wirtschaftslenkern gibt es jedoch keinen Anlass für Feierstimmung. Die Angst vor einem Crash geht um.

Schädlicher Preiskampf

Es tobt ein Preiskampf unter Chinas E-Autobauern, Überkapazitätsprobleme kommen immer deutlicher zum Vorschein und die Profitabilität sinkt. Dies wirft Fragen zur Gesundheit der vom Staat so sorgsam herangezüchteten, industriepolitisch gepflegten und mit Subventionen angefütterten Branche auf. Nach jahrelanger rapider Expansion und einer Schwemme von Neueinsteigern aus der Startup-Szene gibt es nun gewaltige Kapazitätsüberschüsse. Eine Studie des Research-Hauses Gasgoo Auto setzt die tatsächliche Nutzung der Produktionskapazitäten bei nur noch knapp 50% an.

Bei den Marktführern BYD und Geely sieht man eine hohe Auslastung. Gleiches gilt für Tesla und den Newcomer Xiaomi, der enorme Nachfrage nach seinem neu lancierten SUV-Modell YU7 produktionsseitig gar nicht nachzukommen weiß. Zahlreiche einst vielversprechende Startups, die zum Teil gewaltige Produktionskapazitäten mit lokaler Förderung aufgebaut haben, stehen aber mittlerweile vor brachliegenden Werken und haben geringe Chancen, neue Investoren zu finden.

Crashpiloten

Unter den Crashpiloten befinden sich einige illustre Namen. Vom Schanghaier Startup Hozon Autos mit der einst starken Marke Neta ist nur noch ein Rumpf übrig. WM Motor hat sich aus dem Markt verabschiedet. Human Horizons Group mit seinen futuristisch anmutende Fahrzeugen der Marke HiPhi, musste nach hohen Verlusten ebenfalls Konkurs anmelden. Im vergangen Jahr ist die Zahl der Anbieter im E-Automarkt erstmals überhaupt geschrumpft.

Chinas Pkw-Sektor hat ein Profitabilitätsproblem, das sich nicht länger verstecken lässt. In der ersten Jahreshälfte 2025 sind die Gewinne trotz hohen Wachstums industrieweit um rund 13% zurückgegangen. Eine Reihe zuvor hochprofitabler staatlicher Autobauer schreibt nun alarmierende Verluste, darunter GAC, die sich im E-Autogeschäft mit der Marke Aion früh und stark positionierte konnte.

Händler hinken hinterher

Laut China Car Passenger Association (CPCA) sind die Durchschnittsgewinne pro hergestelltem Pkw von mehr als 20.000 Yuan (2400 Euro) im Jahr 2022 um ein Drittel auf 14.000 Yuan geschrumpft. Zahlreiche Hersteller bieten neue Modelle unter Produktionskosten an, um Marktanteile halten zu können. Entlang der Wertschöpfungskette wird der Preisdruck weitergegeben. Leidtragende sind Autohändler und Zulieferer. In den Händlernetzen sieht man gewaltige Anspannung. Im vergangenen Jahr haben 40% der Händler Verluste geschrieben. Rund drei Viertel können die vorgegebenen Verkaufsziele derzeit nicht erfüllen. Der Inventarbestand steht zur Jahresmitte bei 3,5 Millionen Fahrzeugen, die noch einen Käufer suchen.

Eine Umfrage von Alix Partners bei 250 chinesischen Zulieferfirmen ergibt, dass nur noch 40% im vergangen Jahr ihre Profite steigern konnten. Im Jahr davor waren es 60%. Finanzierungsengpässe bei Autobauern bedingen teilweise abenteuerliche Zahlungsziele für die Leistungserbringung von sechs bis neun Monaten. Man lässt Autos bauen, die zu immer niedrigeren Preisen in den Markt gehen und zahlt erst ein halbes Jahr später für die benötigten Teile.

Zahnloser Pakt

Losgetreten wurde die Preisschlacht Anfang 2023 als Tesla die Preise für seine in China gebauten Modelle stark zurücknahm. Die chinesischen Autobauer setzten sofort nach. Der Automobilverband CAAM erwirkte einen Pakt, mit dem sich 16 Hersteller – darunter Tesla, BYD und Geely – dazu verpflichteten, abnormale Preisstrategien zu unterlassen. Das Memorandum erwies sich als zahnlos, zumal die Regierung in Peking zögerte, regulatorisch einzugreifen. Ein aufgeheizter Wettbewerb galt vielmehr als probates Mittel, Autoverkäufe und damit auch die Konsumkonjunktur anzukurbeln.

„Neijuan“ macht Angst

Mittlerweile stehen andere Bedenken im Vordergrund. Die Wirtschaft leidet unter einer Deflationstendenz, zu der die Autobranche maßgeblich beiträgt. Die Hoffnung, Überproduktion durch rasch wachsende Pkw-Exporte abzubauen, werden im gegenwärtigen handelspolitischen Klima gedämpft. Peking sieht nun Handlungsbedarf. „Neijuan“, nach innen gerollter Wettbewerb, heißt das wirtschaftspolitische Schlagwort des Jahres, eine Umschreibung des englischen Begriffs „involution“.

Es geht um selbstzerstörerischen Hyperwettbewerb mit besonders aggressiven Preissenkungen zur Wahrung von Marktanteilen. Er verschlingt immer größere Investitionen und führt dennoch zu sinkenden Erträgen. Mit wachsendem Kapitalbedarf erzielte Effizienzfortschritte verpuffen, ohne dass wirtschaftliches Vorankommen erkennbar ist. Dieser Abwärtsspirale gilt es nun, Einhalt zu gebieten.

BYD überspannt den Bogen

Den Moment des rüden Erwachens kann man exakt festhalten. Es ist der 23. Mai, als ausgerechnet der Marktführer BYD inmitten hitziger Diskussionen um die schädliche Preisschlacht aus heiterem Himmel eine extrem wirkende Preissenkungsrunde annoncierte. Der Platzhirsch mit hohen Gewinnen und Kostenvorteilen aus eigener Batterieproduktion kann es sich am ehesten erlauben, einen draufzusetzen, um die Konkurrenz weiter in die Knie zu zwingen und extrem hochgegriffene Absatzziele für 2025 zu erfüllen.

Der BYD-Coup erweist sich als gravierende strategische Fehlentscheidung, wie man mittlerweile weiß. Zum einen wurde einiges Vertrauen bei den Investoren verspielt. Die BYD-Aktie ist inmitten einer prächtigen Rally am Hongkonger Aktienmarkt gewaltig abgesackt. Der Fokus der Investoren richtet sich nun stärker auf den Margenrückgang, weil das Turbowachstum abzuflachen droht. BYD kam im Juli mit 344.000 verkauften Fahrzeugen auf noch 0,6% Wachstum gegenüber dem Vorjahr. Das Absatzziel von 5,5 Millionen Verkäufen im Jahr 2025 wirkt unrealistisch. Um es noch zu erreichen, müssten in den verbleibenden Monaten im Durchschnitt jeweils 600.000 E-Autos abgesetzt werden.

BYD als böser Bube

Vor allem aber zeigt sich Peking alarmiert und zu Disziplinierungsaktionen motiviert, die BYD künftig engere Fesseln anlegen werden. Der Held der Antriebswende in China scheint erstmals von der politischen Führung auch als böser Bube wahrgenommen zu werden, dessen aggressive Praktiken und monopolistisch angehauchten Marktmachtspiele die Branche gefährden. BYD und andere große Hersteller sind nun aufgefordert, Zahlungsziele für Zulieferer nicht mehr länger über die Marke von zwei Monaten hinausgehen zu lassen.

Parallele zu Evergrande?

Im Falle von BYD lassen chinesische Analysten Vermutungen aufkommen, dass die laxe Begleichung von Lieferantenrechnungen die tatsächliche Höhe der Konzernverschuldung verschleiert. Bei der verschnupften Konkurrenz wird BYDs Expansionskurs bereits in Verbindung zu halsbrecherischen Praktiken der von einer Verschuldungskrise zerzausten chinesischen Immobilienentwickler gebracht.

Der Chef des Autobauers Great Wall hat BYD gar als „Evergrande der Autoindustrie“ gebrandmarkt. Die Parallele zum gescheiterten Immobilienriesen, dessen Aktie am Montag endgültig vom Kurszettel der Hongkonger Börse verbannt wurde, mag übertrieben pikant sein. Sie ist aber ein Fingerzeig für Hybris in Chinas Automarkt, das nun stärker unter die Lupe genommen wird.