Notiert inSchanghai

Chinas Staat sucht nach billigen Bräuten

China hat sich einer Babyoffensive verschreiben, für die es mehr Eheschließungen braucht. Der Staat geht nun gegen die hochzeitshinderliche Tradition hoher „Brautpreise“ vor.

Chinas Staat sucht nach billigen Bräuten

Notiert in Schanghai

Der Staat sucht nach billigen Bräuten

Von Norbert Hellmann

Chinas demografischer Trend macht Sorge. Die Geburtenrate rutscht immer weiter ab. Es wird nur schleppend geheiratet. Die Zahl der jährlichen Eheschließungen, aus denen mal kleine Kinder erwachsen sollen, hat sich zwischen 2013 und 2022 von 13,5 auf 6,8 Millionen praktisch halbiert. Freilich hatte dabei die Pandemie samt abenteuerlicher Null-Covid-Politik ihre Finger mit im Spiel. Jetzt, da alles überstanden ist, muss es nach Willen der Pekinger Führung an der Heiratsfront wieder besser laufen. Nach offizieller Lesart geht es der Wirtschaft wieder prächtig. Das gibt der Zauderer-Generation Z weniger Ausreden, sich nationalen Fertilitätspflichten weiter zu entziehen.

Hoffnungswert Drachenbaby

Ein Vorteil ist, dass wir uns im Jahr des Drachens als erhabenstem der zwölf chinesischen Tierkreiszeichen befinden. In früheren Drachenjahren konnte man einen statistisch signifikanten Geburtenschub feststellen. Bleibt zu hoffen, dass moderne Chinesen den brennenden Wunsch nach dem (wenn möglich männlichen) Drachenbaby so gut wie ihre abergläubischen Vorfahren internalisiert haben.

Geld in der Hauptrolle

Der Staat zählt einerseits also auf die von ländlicher Tradition geprägten guten alten Sitten. Auf anderer Ebene, nämlich bei Hochzeitsritualen, will er ihnen allerdings den Garaus machen. Man geht gegen den Usus des Brautpreises vor, er gilt als Bremsfaktor für die Heiratsquote und damit auch die Babyoffensive. In ländlichen Gegenden bedarf es oft hoher Geldtransfers, bevor der Vater einer gut gediehenen Braut sie diesem einen Kerl an die Hand geben mag. Der andere Kostenfaktor sind die Hochzeitsfeierlichkeiten selber. Auch ärmere Haushalte sind zur Opulenz verpflichtet. Anderenfalls droht „Gesichtsverlust“ als schlimmste gesellschaftliche Schmach in China.

Peking hat sich im Kampagnenstil hinter die Sache geklemmt. Mit regionalplanerischem Eifer wurden Testgebiete für die Hochzeitsgebräuche-Reform ausgelobt. Lokale Parteisekretäre gehen mit demografischer Inbrunst ans Werk. Das bedeutet sowohl aufwendige Informationskampagnen als auch subtile Strafandrohungen für „gesellschaftsschädigende“ Eheschließungsszenarien.

Neuer Wertkatalog

Auch in Staatsmedien versucht man einen neuen Wertekatalog zu vermitteln. Junge Paare sollen ihre Liebe zueinander in weniger aufwendiger und materieller, sondern mehr persönlich gehaltener und bedeutungsvoller Weise demonstrieren. „Es gilt, die Essenz des Bundes fürs Leben gegenüber großartiger Zurschaustellung zur Erfüllung überholter Gesellschaftsnormen zu priorisieren“, kann man etwa lesen.

Masse statt Klasse

Bei der praktischen Umsetzung der geldbeutelschonenden und dadurch „persönlich gehaltenen“ Hochzeitsweise haben die Testgebiet-Regierungen allerdings maoistisch angehauchte Vorstellungen. Um Zielvorgaben zu erreichen, setzen sie auf Masse statt Klasse. Das bedeutet gerade im Wonnemonat Mai, serienweise wohlwollend staatlich organisierte Gruppenhochzeiten mit feierlichem Sparcharakter über die Bühne zu bringen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.