Chinesen auf der Überholspur
Der Umgang mit China scheidet die Geister. Politisch motivierten Mahnungen vor den Risiken einer zu engen wirtschaftlichen Verflechtung deutscher Unternehmen mit und in China steht das klare Bekenntnis wichtiger Leitbranchen wie Automobilindustrie, Maschinenbau oder Chemie zur weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft entgegen. Es kommt aktuell in den deutschen Direktinvestitionen im Reich der Mitte zum Ausdruck, die im vergangenen Jahr erneut gestiegen sind und einen neuen Rekordwert von rund 12 Mrd. Euro erreicht haben. Andererseits hat sich gezeigt, dass China seine Position als größter Handelspartner Deutschlands zuletzt nur knapp behauptet hat und mit den USA nun fast gleichauf liegt. Das hat primär damit zu tun, dass die Importe aus China 2023 um fast ein Fünftel zurückgegangen sind.
E-Autos im Visier
Der Einbruch lässt auch aufhorchen vor dem Hintergrund, dass manche Importe aus China zunehmend Anstoß erregen. Denn wenn es sich nicht um Elektro- und Digitalprodukte im weitesten Sinne handelt, die hierzulande oder in Europa ohnehin nicht produziert werden, gerät der Preisvorteil chinesischer Angebote in ein anderes Licht. Für Aufsehen sorgte vor einiger Zeit die Ankündigung der EU-Kommission, den „unfairen“ Wettbewerb chinesischer Autobauer zu prüfen, die den europäischen Markt mit neuen Elektrofahrzeugen mit erheblichem Preisvorteil gegenüber der heimischen Autoindustrie zu überschwemmen drohen. Die Kommission argwöhnt eine Verzerrung des Wettbewerbs durch staatliche Subventionen in China und droht mit „Maßnahmen“, also gegebenenfalls Handelsschranken.
In eine prinzipiell ähnliche Kerbe stößt der deutsche Einzelhandel, der seinerseits eine Marktüberschwemmung mit chinesischen Billigprodukten, vor allem Textilien, beklagt. Die Unternehmen verweisen ebenfalls auf ungleiche Wettbewerbsbedingungen, unter anderem beispielsweise deshalb, weil sich deutsche Textilhändler den Regelungen des neuen Lieferkettengesetzes unterwerfen müssten, was mit Aufwand und notwendigerweise einer Verteuerung der Waren einhergeht. Gegenüber der Konkurrenz aus China sei die Einhaltung einer solchen Lieferhygiene wie auch anderer Standards nicht durchzusetzen. Die Flut der Waren, die Deutschland aus China erreiche, überfordere die Kapazitäten des Zolls bei weitem. Es sollen weitere, neue Kontrollinstanzen her.
Kostennachteile treffen auch Einzelhandel
Indes sitzen Einzelhandel und Automobilindustrie im Umgang mit der chinesischen Konkurrenz nicht wirklich in einem Boot. Zwar sind beide im Wettbewerb in Bedrängnis, aber Umsatz und Gewinn der großen Automobilunternehmen sind in höherem Maße vom Absatz ihrer Fahrzeuge in China abhängig als im Einzelhandel. Wiewohl auch für diesen China zumindest im Luxussegment ein hohes Gewicht hat. Die Preisvorteile chinesischer Unternehmen drücken hierzulande umso mehr, als sich die deutschen infolge der Inflation mit einem Kostenschub bei Material und Arbeitskosten konfrontiert sehen. Regulatorisch bedingte Aufwendungen kommen obendrauf.
Innovation fehlt
Dass Unternehmen mit derart unterschiedlichen Kostenstrukturen umgehen müssen, ist eine Nebenwirkung global offener Märkte, die deutsche Firmen über Jahre durch Innovation und Qualitätsvorsprung kompensiert haben. Dass die Grenzen zwischen industriepolitisch motivierten Subventionen und Dumping mitunter schwer zu ziehen sind, ist ebenfalls keine neue Erkenntnis.
Die Brisanz der gegenwärtigen Situation entsteht aber tatsächlich weniger aus eskalierendem Dumping auf der einen und einem Kosten- und Regulierungsschub auf der anderen Seite. Vielmehr ist etwa die Autoindustrie und nicht nur diese dabei, ihren Qualitäts- und Innovationsvorsprung zu verspielen. Chinesische Firmen haben – auch gestützt durch gezielte Förderung des Staates – aufgeholt, sehr sichtbar in der Autoindustrie, aber auch schon länger in der Telekommunikationstechnologie, in der Batterietechnik und teilweise im Maschinenbau. Sie begegnen deutschen Konkurrenten zunehmend auf Augenhöhe und noch dazu mit Kostenvorteilen. Diese Entwicklung wird durch Schutzzölle auf Dauer nicht auszubremsen sein. Hier sind die Unternehmen selbst am Zug.
Wettbewerb
Chinesen auf der Überholspur
Billige Textilien, billige E-Autos: Importe aus China erregen Anstoß, aber Handelsschranken sind kein geeignetes Mittel dagegen.