Abgerechnet wird zum Schluss
Abgerechnet wird zum Schluss
Abgerechnet wird zum Schluss
Die Endabrechnungen der Corona-Wirtschaftshilfen sind
in den letzten Zügen, doch beendet ist das Kapitel damit nicht. Einige Rückforderungen beschäftigen bereits die Gerichte.
Von Sabine Reifenberger, Frankfurt
Geschlossene Restaurants, verwaiste Fußgängerzonen, leere Hotels: Wer sich während der Corona-Lockdowns vor die Tür getraut hat, fühlte sich schnell wie in einer Geisterstadt. Um dafür zu sorgen, dass die gebeutelten Geschäfte über die Runden kommen, hat die Politik während der Pandemie über Soforthilfen, Überbrückungshilfen, Neustarthilfen und weitere Programme insgesamt rund 76 Mrd. Euro an Corona-Wirtschaftshilfen ausgeschüttet.
Weil es schnell gehen musste, basierten viele Hilfsanträge auf Schätzungen, die in einer Schlussabrechnung später mit der tatsächlichen Geschäftsentwicklung abgeglichen wurden. Die Frist für die Schlussabrechnungen wurde mehrfach verlängert, teils mit nur wenigen Tagen Vorlauf – erst am 30. September 2024 lief sie offiziell aus. Gut ein Jahr später zeigt sich, dass zwar die Abrechnung voranschreitet, ein endgültiger Schlussstrich aber nach wie vor fern ist.
Drohende Rückforderungen
Die Spielregeln sind zunächst einmal einfach: Für Unternehmen, die Gelder erhalten haben, ist eine Schlussabrechnung Pflicht – wer keine vorlegt, muss die ausgezahlten Hilfen komplett zurückerstatten. Bei den Überbrückungshilfen I bis IV sowie den außerordentlichen Wirtschaftshilfen (November- und Dezemberhilfe), über die insgesamt 60 Mrd. Euro ausgezahlt wurden, hatten laut dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie bis zum Fristende rund 95% der Unternehmen die geforderte Abrechnung vorgelegt. Stellt sich bei der Prüfung heraus, dass das Unternehmen durch die Pandemie mehr Umsatz eingebüßt hat als geschätzt, kann es eine Nachzahlung erhalten. Wurde der Umsatzrückgang hingegen zu hoch eingeschätzt, kommt es zu Rückforderungen.

Beim ersten Hilfspaket, den Soforthilfen, bekamen die Antragsteller je nach Bundesland Pauschalbeträge von bis zu 60.000 Euro, bei den später aufgelegten Überbrückungshilfen richtete sich die Hilfe stärker nach individuellen Faktoren wie Umsatzrückgang und Fixkosten. Diese Hilfen mussten über sogenannte „prüfende Dritte“ beantragt werden, in der Regel Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer. „Das waren dann auch größere Beträge“, sagt Stefan Schwindl, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bei der MTG Wirtschaftskanzlei.
In den vergangenen Wochen sorgten gerade die Soforthilfen für Aufruhr. In Hessen beispielsweise erhielten die Unternehmen erst im Juli Post vom Regierungspräsidium Kassel, das eine „Rückmeldung“ zu den gezahlten Soforthilfen wollte. Denn diese wurden zwar unbürokratisch gewährt, standen aber unter Vorbehalt. Nur, wer einen Liquiditätsengpass durch die Pandemie auch nachweisen kann, darf die Hilfen behalten. Doch es häufen sich Konfliktfälle, sagt Rechtsanwältin Elske Fehl-Weileder von der Kanzlei Schultze & Braun. So sei zum Beispiel die Frage, welche Kosten für die nachträgliche Ermittlung des Liquiditätsengpasses angesetzt werden dürfen, unklar.
Politiker wie der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz hätten die Soforthilfe für Kleinstunternehmen und Solo-Selbstständige zudem anfangs öffentlich als „Zuschuss“ tituliert, der nicht zurückgezahlt werden müsse. „Wer die Gelder entsprechend eingesetzt hat, könnte auf den Vertrauensschutz verweisen“, sagt die Juristin.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in Mannheim hat erst vor wenigen Tagen in sechs Musterverfahren über die Rückzahlung von Corona-Soforthilfen entschieden und in fünf Fällen den Unternehmen recht gegeben. Diese müssen die Hilfen nun nicht rückerstatten. Fehl-Weileder erwartet, dass dies weitere Unternehmen motivieren könne, den Klageweg zu beschreiten. „Die Quintessenz ist, dass es sich durchaus lohnen kann, bei Bescheiden und Rückforderungen genauer hinzuschauen und bei Unstimmigkeiten Rechtsmittel einzulegen.“ Auch manche Kanzleien wittern offenbar ein attraktives Geschäft: „Es gibt im Internet bereits einige, die sehr gezielt auf Klagemöglichkeiten hinweisen. Baden-Württemberg war da nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Fehl-Weileder.

Schultze & Braun
Das Land Hessen hat Anfang Oktober bereits entschieden, die Bescheid-Erstellung im Rückmeldeverfahren zu den Corona-Soforthilfen vorübergehend auszusetzen und will weitere Erleichterungen für die Betroffenen prüfen.
Auch bei der Schlussabrechnung der Überbrückungshilfen droht noch eine juristische Verlängerung. Zunächst wurden offenbar die kleineren Tickets bearbeitet, die größeren und zeitaufwendigeren Fälle folgen nun: „Auf die noch verbliebene Hälfte der zu prüfenden Schlussabrechnungspakete entfallen gut drei Viertel des ausgezahlten Volumens“, heißt es in einem Zwischenfazit des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem März dieses Jahres.
Weitere Klagen erwartet
Komplex sind nach Erfahrung von Wirtschaftsprüfer Schwindl beispielsweise Regelungen zu Unternehmensverbünden, bei denen lediglich ein Unternehmen die Schlussabrechnung für den gesamten Verbund einreichen kann. „Wurden Hilfen fälschlicherweise an mehrere Unternehmen eines Verbunds gezahlt, muss in der Schlussabrechnung eine Zusammenfassung erfolgen.“
Schwindl geht davon aus, dass es auch bei den Bescheiden zu den Überbrückungshilfen Klagen geben wird. Ein Problem liegt in den unscharfen Rahmenbedingungen: Die Handhabungshinweise für die Beantragung von Hilfen haben sich während der Pandemie häufig geändert. „Mitunter gab es im Wochentakt neue Handreichungen“, erinnert sich Fehl-Weileder.
Je nachdem, welcher Hinweis zum Zeitpunkt der Antragstellung veröffentlicht war, galten für die Beantragung der Hilfen unterschiedliche Voraussetzungen. Schwindl hat Fälle erlebt, in denen etwa Fixkosten, die erst nach der ursprünglichen Antragstellung entstanden sind, im Rahmen der Schlussabrechnungen nicht mehr anerkannt wurden. Diese Vorgehensweise sei durchaus umstritten.

MTG Wirtschaftskanzlei
Die betroffenen Unternehmen könnten bei Auseinandersetzungen über Rückforderungen der Überbrückungshilfen davon profitieren, dass die Anträge für diese Hilfsprogramme von Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern begleitet wurden. „Üblicherweise werden dabei alle Schritte dokumentiert, so dass der jeweilige Informationsstand auch für ein Gericht gut nachvollziehbar ist“, sagt Schwindl. Jede Auseinandersetzung treibe jedoch die Kosten der Wirtschaftshilfen weiter in die Höhe.
Der Abschlussbericht zur Wirksamkeit der Corona-Wirtschaftshilfen beziffert die Vollzugskosten auf etwa 1,65 Mrd. Euro, im Verhältnis zur Fördersumme sind das etwa 2,2%. „Das umfasst allerdings nur administrative Kosten“, sagt Schwindl. Viele Unternehmen hätten hohe externe Kosten für die prüfenden Dritten aufwenden müssen. „Die Abrechnungen lagen mitunter bei 30% der Fördersumme“, sagt der Wirtschaftsprüfer.
Zwar seien diese Aufwendungen anteilig wieder förderfähig, doch ein großer Teil bleibe bei den Unternehmen hängen. Den Weg bis zur Schlussabrechnung erlebt er bisweilen als ineffizient. „Es gibt oft sehr kleinteilige Rückfragen der Bewilligungsstellen. Dann muss man fünf Jahre alte Rechnungen über Kleinstbeträge unter 1.000 Euro beibringen.“
Langer Weg
Auf die Verwaltungsgerichte könnte viel Arbeit zukommen, wenn weitere Bescheide angezweifelt werden. „In den meisten Bundesländern muss gegen den Bescheid binnen eines Monats Klage zum Verwaltungsgericht eingereicht werden, in anderen Bundesländern hat ein Unternehmen einen Monat Zeit, zunächst Widerspruch gegen einen Rückforderungsbescheid bei der Behörde einzulegen“, sagt Fehl-Weileder. Lehnt die Behörde den Widerspruch ab und hält an der Rückforderung fest, bleibt der Klageweg.
Den strittigen Betrag sollten Betroffene bis zur endgültigen Klärung nicht anderweitig verplanen. „Wenn es wahrscheinlich ist, dass die Forderung Bestand hat, muss man entsprechende Rückstellungen bilden“, mahnt Fehl-Weileder. Auch für die Ermittlung einer Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung – beides Insolvenzantragsgründe – müsse das Unternehmen den Betrag in diesem Fall berücksichtigen. Bis zur endgültigen Klärung durch ein Gericht kann Fehl-Weileders Einschätzung nach einige Zeit vergehen. „Diese Verfahren können durchaus Jahre dauern.“