ESG

Das aktuelle ESG-Reporting ist ein Witz!

Das aktuelle ESG-Reporting ist ein Witz, und zwar ein schlechter! So das Ergebnis des Global ESG Monitors (GEM), einer international angelegten Studie, die ESG-Berichte aus Dax, Euro Stoxx 50, S&P/ASX 50 und Dow Jones miteinander vergleicht.

Das aktuelle ESG-Reporting ist ein Witz!

Das aktuelle ESG-Reporting ist ein Witz, und zwar ein schlechter! So das Ergebnis des Global ESG Monitors (GEM), einer international angelegten Studie, die ESG-Berichte aus Dax, Euro Stoxx 50, S&P/ASX 50 und Dow Jones miteinander vergleicht.

Die drei Buchstaben – E = Environment, S = Social und G = Governance – sind gerade der Megatrend schlechthin am Kapitalmarkt. Vor allem im Bereich der nachhaltigen Geldanlage entstehen immer neue Produkte, die diese Buchstaben in ihrem Namen tragen. Laut Expertenmeinungen soll das europäische ESG-Vermögen bereits 2025 zwischen 5,5 Bill. Euro und 7,6 Bill. Euro erreichen und damit zwischen 41 und 57% des gesamten Fondsvermögens in Europa ausmachen. Damit wäre es der am schnellsten wachsende Bereich im Assetmanagement.

Algorithmen ein Problem

Wer aber bewertet eigentlich die Erfüllung des Anspruchs der Buchstaben E, S und G? Viele ESG-Finanzprodukte verlassen sich auf die Einschätzungen spezialisierter Ratingagenturen. Für Unternehmen ist es daher wichtig, ein entsprechendes Rating zu erzielen, um in einen einschlägigen Index oder ein Finanzprodukt aufgenommen zu werden. Die Urteile der Ratingagenturen werden einzeln oder in Gruppen weiterverarbeitet, von Indexanbietern, Stimmrechtsberatern oder Assetmanagern übernommen und in Form nachhaltiger Geldanlageprodukte weiter vermarktet.

Das Problem dabei ist, dass die Ratingagenturen auch Algorithmen für sich arbeiten lassen. Diese scannen öffentlich verfügbare Informationen eines Unternehmens und bündeln diese zu einem Urteil. Was die Algorithmen nicht messen, ist die Transparenz und damit die Nachvollziehbarkeit der Angaben. Schon allein deshalb, weil sie auch Informationsquellen berücksichtigen, die nicht von unabhängiger Stelle geprüft und deshalb leicht veränderbar sind.

Wichtigste Quelle ist daher der nichtfinanzielle Bericht, den es in zwei Varianten gibt (integriert im Geschäftsbericht beziehungsweise als separater Nachhaltigkeitsbericht). Der GEM hat diese Berichte für 140 global führende Unternehmen aus Dax, Euro Stoxx 50, ASX50 und Dow Jones ausgewertet und verglichen. Es ging um Themen wie den Stakeholder-Dialog, um den Einsatz von Rahmenwerken oder um Qualitätskriterien wie Messbarkeit der Angaben, Angemessenheit der Berichterstattung und Verlässlichkeit der Darstellung.

Das Studienergebnis des GEM unter Führung der Investor-Relations-Beratung Cometis und des Marktforschungsinstituts Kohorten: Oberflächlichkeit statt Tiefe, Behauptungen statt Belege, vollmundige Versprechen statt integrierter Strategien.

Dieses Fazit ist deshalb alarmierend, weil es nach politischem Willen nicht Sinn und Zweck der ESG-Berichterstattung ist, die Basis und damit Rechtfertigung für neue Finanzprodukte zu bilden. Vielmehr geht es um die Dokumentation des Beitrags der Unternehmen zur Lösung global drängender Problemen. Angaben wie zum Umweltschutz, zur Geschlechtergleichstellung oder zur Vermeidung von Kinderzwangsarbeit innerhalb der diversen Stufen der Lieferkette sind erklärungsbedürftig. Vor allem im globalen Kontext.

Auch wenn es an politischem Willen nicht unbedingt mangelt, sind es nach wie vor global agierende NGOs, die Standards für das Reporting definieren. Von verbindlichen Regeln sind wir weit entfernt. Ohne verbindliche Regeln aber auch keine Sanktionen und kein globales Verständnis von Transparenz. Und gerade um die ist es nicht gut gestellt, wie die Analyse zeigt.

Dax besser als Dow Jones

Der Blick auf die untersuchten Regionen macht deutlich: Die Berichte der Dax-Unternehmen können sich im internationalen Vergleich gut behaupten. Aber auch ihnen mangelt es erheblich an Tiefe und Transparenz. Ein Beispiel: So liefern überdurchschnittlich viele Dax-Berichte Berechnungsformeln. Insgesamt sind es jedoch nur 39% aller Dax-Berichte. Und sie verdanken ihr gutes Abschneiden nur dem Umstand, dass die Berichte anderer Indizes in dieser Hinsicht noch intransparenter sind (26% im Dow Jones, 24% im Euro Stoxx und nur 5% im ASX).

Besonders krass fällt der Vergleich von Dax und Dow Jones bezüglich der Verwendung eines Glossars aus – des Teils des Berichtes, der erläutern könnte, welche Informationen überhaupt wichtig sind. Hier sind es rund 20% der Dax-Berichte, die einen solchen Anhang liefern, und kein einziger Dow-Jones-Bericht.

Wenig Tiefe auch beim Thema Stake­holder-Dialog: Hier führt der Dax gegenüber dem Durchschnitt von 61% aller im internationalen Kontext untersuchten Berichte noch bei der Nennung der berücksichtigten Stakeholder(gruppen) mit 75%. Zu den Details dieses Dialogs und den relevanten Inhalten schweigt sich dann aber auch im Dax die Mehrheit der Reports aus.

Das ist schon allein deshalb problematisch, da der Dialog die Grundlage für die sogenannte Wesentlichkeitsanalyse ist. Diese wiederum veranschaulicht die Nachhaltigkeitsrisiken, die das Unternehmen für sich spezifisch identifiziert hat. Man darf sich als kritischer Beobachter aufgrund des Mangels an Transparenz die Frage stellen: Handelt es sich beim Stakeholder-Dialog wirklich um einen systematischen Prozess oder um eine Pflichtübung, die nur bestehende Interessen reproduziert und Weltbilder festigt?

Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Am Ende bleibt die Gewissheit: Sollen unsere Nachkömmlinge die gleichen Chancen haben wie wir, dann müssen die Fortschritte auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit noch klarer dokumentiert werden. Lösen wir die Probleme nicht, droht aus einem schlechten Witz zukünftig einer auf Kosten der nächsten Generationen zu werden.

Michael Diegelmann ist Vorstand der Cometis AG, Wiesbaden.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.