Siemens GamesaLeitartikel

Das ungelöste Rätsel

Siemens Gamesa scheitert am laufenden Band. Der Erbauer von Windkraftanlagen ist unerklärlich. Dies gilt nicht nur aus Sicht der Aktionäre. Auch das Management scheint immer wieder vor einem Rätsel zu stehen. Dies muss sich ändern.

Das ungelöste Rätsel

Siemens Gamesa

Das ungelöste Rätsel

Siemens Gamesa scheitert am laufenden Band. Der Erbauer von Windkraftanlagen ist unerklärlich. Dies muss sich ändern.

Von Michael Flämig

Siemens Energy ist vor knapp drei Jahren an die Börse gegangen. Für die Aktionäre dürfte sich dieser Zeitraum wie ein halbes Jahrhundert anfühlen, hat ihnen die Geschäftsentwicklung doch manches graue Haar verschafft. Die jüngste Horrornachricht des Erbauers konventioneller Kraftwerke samt seiner Windkrafttochter Siemens Gamesa: voraussichtlich ein Verlust im laufenden Geschäftsjahr von 4,5 Mrd. Euro. In der Konsequenz steht der Aktienkurs nun ein Drittel unter der Erstnotiz von rund 22 Euro.

Das Desaster ist aus zweierlei Gründen erstaunlich. Erstens brummt das Geschäft. Ende Juni stehen Aufträge im Wert von 109 Mrd. Euro in den Büchern von Siemens Energy. Dies ist ein Rekordwert. Der zweite Grund zum Staunen: Das oft totgesagte Geschäft mit dem Bau von Gaskraftwerken & Co. sowie mit der Errichtung von Stromnetzen lieferte zuletzt beeindruckende Ergebnisse.

Dies alles hilft aber nichts. Denn derartige Erfolge werden regelmäßig von Siemens Gamesa pulverisiert. Kürzlich hat Siemens Energy für gut 4 Mrd. Euro die ausstehenden Gamesa-Anteile übernommen. In diesem Augenblick platzte die jüngste Bombe: Qualitätsprobleme, unzureichend kalkulierte Materialkosten und übermäßig teure Erweiterungen von Fabriken führen zu Belastungen von 2,2 Mrd. Euro im dritten Quartal. Mit Steuereffekten und Belastungen in den übrigen Quartalen landet man sogar in der Größenordnung von 4 Mrd. Euro.

Die Frage, ob die Sonderkosten nicht schon bei der Formulierung des Angebots an den Streubesitz hätten erkennbar sein müssen, wird noch so manchen Sachverständigen beschäftigen. Wichtiger aber ist aktuell die Antwort auf eine andere Fragestellung: Wie kann es sein, dass Siemens Gamesa immer wieder negative Überraschungen produziert?

Letztlich gibt es viele Ansätze, die dies zu erklären versuchen. Es beginnt bei der operativ nicht vollzogenen Fusion zwischen den Windkraftsparten von Siemens und Gamesa und führt über angesichts der Inflation falsch gestaltete Verträge und den Wettbewerb in der Branche bis zu Abhandlungen über unterschiedliche nationale Kulturen in Spanien und Deutschland. Dies mag zwar alles mehr und teils auch weniger richtig sein. Aber es erklärt nicht die Tatsache, dass Siemens Gamesa so wenig transparent ist und die Ergebnisse so wenig vorhersehbar sind – und zwar über so lange Zeit.

Finanzvorstände sind reihenweise an der Aufgabe von besserer Prognostizierbarkeit gescheitert, sie geben sich die Klinke in die Hand. Auch an der Vorstandsspitze gibt es einen munteren Wechsel. Der aktuelle Chef Jochen Eickholt, der viele Unternehmen in seinem Managerleben saniert hat, trug nach seiner Ernennung im März 2022 das Mantra vor sich her: Bei Siemens Gamesa sei nichts sichtbar, was er nicht woanders auch schon mal gesehen habe. Mittlerweile stellt er explizit fest, dass er dies nicht nochmals sagen würde. Siemens Gamesa ist dem eigenen Management ein Rätsel und zu wenig steuerbar.

Die jüngsten Qualitätsmängel in der Sparte für landgestützte Windräder, für die im laufenden Geschäftsjahr allein 2 Mrd. Euro verbucht wurden, sind hierfür ein Beispiel. Die Fehler sind teils noch nicht identifiziert, und das Entstehen der entdeckten Probleme kann zum Teil nicht erklärt werden. Zudem beruht die Rückstellung nur auf Wahrscheinlichkeiten. Für diese Phänomene gibt es ex post immer Einordnungen. Aber Vertrauen, dass die Sache im Griff ist, entsteht so nicht.

Was tun? Ein Verkauf des Unternehmens in diesem Zustand ist kaum vorstellbar. Zudem würde sich Siemens Energy mit dem zwangsläufig schrumpfenden Gasgeschäft ihrer Zukunft berauben. Es gibt also keine einfache Antwort, es sind schon viele Dinge versucht worden. Das Management scheint nun darauf zu zielen, Siemens Gamesa zu vereinfachen. Simplizität ist das Gebot der Stunde. Weniger Produktvarianten soll es geben, der Rückzug aus einigen Regionen der Welt steht an. Außerdem soll Kontrollierbarkeit vor Expansion und Wachstum gehen. Dies kann klappen. Es ist aber ein langer Weg mit wenig Ertrag, den viele Aktionäre nicht mitgehen werden.

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