LeitartikelThyssenkrupp Steel

Der nächste Kaufinteressent

Mit Jindal Steel versucht sich der nächste Investor am Kauf der Stahlsparte von Thyssenkrupp. Die Erfolgschancen standen selten besser.

Der nächste Kaufinteressent

Thyssenkrupp Steel

Der Nächste, bitte!

Von Annette Becker

Mit Jindal Steel versucht sich der nächste Investor am Kauf der Stahlsparte von Thyssenkrupp. Die Erfolgschancen standen selten besser.

Tata Steel, Liberty Steel, Salzgitter, Daniel Křetínský – die Liste der potenziellen Käufer oder Partner, die sich in den vergangenen Jahren die Stahlsparte von Thyssenkrupp anschauten, ist lang. Mit der indischen Jindal Steel gibt es seit kurzem einen neuen Interessenten, der sich am „Unmöglichen“ versuchen will und selten standen die Chancen besser. Denn anders als die europäische Konkurrenz – der tschechische Glücksritter Křetínský sei in dieser Betrachtung ausdrücklich ausgespart – verfolgen die Inder keine Defensivstrategie. Vielmehr will sich der integrierte Stahlkonzern mit der Übernahme von Deutschlands größtem Stahlkocher Marktzugang nach Europa verschaffen. Die Zeichen stehen klar auf Expansion.

Um ernsthafte Gespräche mit Jindal aufnehmen zu können, war die Rückabwicklung des Verkaufs der 20%-Beteiligung an Křetínský unabdingbar. Tränen dürfte der Vertragsauflösung jedoch niemand nachweinen. Zumal es um den Deal, der in einem 50-50-Joint Venture müden sollte, zuletzt auffällig ruhig geworden war. Die Transaktion hatte Thyssenkrupp-Chef Miguel López Ende 2023 aus dem Hut gezaubert. Die dahinter stehende Logik hatte sich jedoch nie erschlossen. Einzig für López könnte sich der Ausstieg Křetínskýs als Bumerang erweisen. Denn sollten die Verhandlungen mit Jindal scheitern, stünde er erneut mit leeren Händen vor seinen Investoren.

Angekommen in der Realität

Umgekehrt ist auch in Duisburg nach den mehrfach fehlgeschlagenen Verwertungsanläufen für die Stahlsparte mehr Realitätssinn eingekehrt. Zeugnis darüber legt nicht zuletzt das tiefgreifende Restrukturierungsprogramm ab, das Ende 2024 für die Stahlsparte verkündet wurde. Neben der Herausnahme von einem Viertel der Produktionskapazitäten geht damit auch ein massiver Stellenabbau – in Summe soll die Belegschaft um 11.000 Köpfe verringert werden – Hand in Hand. Anfang September stimmte die Belegschaft dem Sanierungstarifvertrag zu und machte damit den Weg für die Ausarbeitung des Geschäftsplans für die kommenden Jahre frei.

Doch auch die Muttergesellschaft Thyssenkrupp hat dem etwaigen Verkauf in den vergangenen Jahren Vorschub geleistet, wenn auch nicht ganz freiwillig. Allein in den letzten beiden Jahren musste die Stahlsparte um mehr als 3 Mrd. Euro im Wert korrigiert werden. Diese bittere, aber unausweichliche bilanzielle Übung dürfte einen potenziellen Verkauf tendenziell erleichtern.

Investitionszusagen

Ohne Details zu kennen, kommen die Inder aber auch nicht mit leeren Händen. Vielmehr versprechen sie, die Direktreduktionsanlage (DRI) zur Produktion von grünem Stahl fertigzustellen und mehr als 2 Mrd. Euro in Weiterverarbeitungskapazitäten zu stecken. Obendrein wirbt der strategische Investor damit, die Versorgung mit grünen Vorprodukten aus einer im Bau befindlichen DRI-Anlage im Oman zu sichern. Für die leidgeprüften Stahlkocher grenzte das schon fast an ein Wunder.

Es wäre vermessen, das Ergebnis der Gespräche, die ganz am Anfang stehen, vorwegzunehmen. Zumal völlig unklar ist, wie groß die Zahlungsbereitschaft seitens der Muttergesellschaft ausfällt. Unstrittig ist, dass Thyssenkrupp nicht umhinkommt, der Stahltochter eine Mitgift mit auf den Weg zu geben. Allein die auf sie entfallenden Pensionsverbindlichkeiten werden auf über 2,5 Mrd. Euro taxiert. Diesen Betrag + X müssen die Essener wohl in die Hand nehmen, um das Stahlrisiko aus der Bilanz zu bekommen.

Politik sitzt mit am Verhandlungstisch

Erschwerend kommt hinzu, dass die Politik wohl auch ein Wörtchen mitsprechen wird. Nicht nur, weil für den Bau der DRI-Anlage milliardenschwere Subventionen zugesagt und teils schon ausgezahlt sind. Vielmehr geht es auch um standort- und industriepolitische Erwägungen. Erst am Dienstag hat sich die EU dazu durchgerungen, einen handelspolitischen Schutzzaun für die europäische Stahlindustrie zu errichten. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie, sollte ein Unternehmen, das für die Überkapazitäten am Weltmarkt mitverantwortlich ist, demnächst in den Genuss dieser Schutzzölle kommen.