LeitartikelVersicherer

Die 100-Milliarden-Euro-Einigung

Die jetzt erreichte grundsätzliche Einigung zur Reform von Solvency II soll es Versicherern ermöglichen, mehr Kapital langfristig zu investieren. Auf deutsche Versicherer dürfte dies aber kaum zutreffen.

Die 100-Milliarden-Euro-Einigung

Versicherer

Die 100-Milliarden-Euro-Einigung

Von Thomas List

Die jetzt beschlossene Reform von Solvency II dürfte nur sehr begrenzt dem Green Deal zugutekommen.

Eine vorweihnachtliche Bescherung war die jetzt beschlossene Reform von Solvency II für die deutsche Versicherungswirtschaft nicht. Geschenke wurden nicht verteilt. Vielmehr kam es in der Einigung zwischen EU-Parlament, Rat und Kommission nicht so schlimm wie erwartet – aus deutscher Versicherersicht wohlgemerkt. Und man muss einschränkend feststellen: So weit sich das bisher sagen lässt. Denn die Einigung ist „nur“ eine politische, sprich in den Grundsätzen. Die technische Einigung steht noch aus.

Diese technische Einigung könnte noch einige Überraschungen in sich bergen. Denn die Review von Solvency II ist ein Schrauben an Details, die aber durchaus weit reichende Folgen haben werden. Daher sind bisher nur grobe Umrisse erkennbar, die man sich aus den Stellungnahmen von Parlament bzw. Berichterstatter, Kommission und Versicherungsverbänden zusammensuchen muss.

Zentrale Botschaft der Kommission ist, dass jetzt zusätzlich langfristig investiert werden könne, insbesondere in den von der Kommission propagierten Green Deal, aber auch in die digitale Transformation. Eine konkrete Zahl nennt das Parlament: 100 Mrd. Euro. Allerdings wird eingeschränkt, dass die Entlastung durch die Reform stark vom Zinsumfeld und der makroökonomischen Lage abhängt.

Und was heißt das nun für Deutschland? Wohl nicht viel. Beim Versicherungsverband GDV rechnet man im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld mit nur geringen Entlastungseffekten. Das kann in anderen Ländern allerdings ganz anders aussehen. Allerdings gilt es auch zu berücksichtigen, dass frei werdendes Kapital nicht zwangsläufig in die eher risikobehaftete Transitionsfinanzierung fließen muss. Manch Versicherer könnte ja auch zusätzliche Staatsanleihen kaufen, vor allem, wenn sie eine Kapitalunterlegung von null haben.

Für die Aktienmärkte interessanter ist das angekündigte neue Regime für Eigenkapitalinvestitionen. Aktien müssen nach Solvency II mit 39% oder 49% Eigenkapital unterlegt werden, was solche Investitionen nicht gerade leichter macht. Kritisiert wurde das insbesondere im aktienaffinen Frankreich. Immerhin müssen langfristig gehaltene Aktien unter der Standardformel nur mit 22% Eigenkapital unterlegt werden. In der Praxis wird dies kaum angewendet, da die Kriterien für dieses „long term equity“ sehr restriktiv sind. Das soll sich jetzt ändern, aber nicht in der Solvency-II-Richtlinie, sondern in einem delegierten Rechtsakt der Kommission.

In der Richtlinie wurden jetzt die 22% festgezurrt und ein paar Eckpfeiler eingehauen, die aber noch nicht bekannt sind. Daran zeigt sich wieder die Krux dieses Vorgehens. Einerseits ist klar, dass gerade solche technischen Details nicht oder nur in groben Zügen auf Gesetzes-, sprich Richtlinienebene festgezurrt werden können. Nicht ohne Grund hat die Review fast drei Jahre gedauert. Andererseits kommt es hier eben auf die Details an – die die Kommission in Eigenregie in delegierten Rechtsverordnungen umsetzt. Sicherlich werden Lobbygruppen versuchen, ihren Einfluss auch bei der Kommission geltend zu machen. Parlament und Rat können den Rechtsverordnungen aber nur in Gänze zustimmen – oder sie in Gänze ablehnen. Letzteres passiert aber selten. Schließlich reden die europäischen Aufsichtsbehörden, hier EIOPA, noch über von ihnen verabschiedete Ausführungsbestimmungen ein gewichtiges Wort mit.

Ob das reformierte Solvency-II-Regelwerk auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Versicherer stärken und die Versicherten besser schützen wird, steht in den Sternen. Es klingt nach reichlich Marketing, wenn hier im Dreiklang Umwelt, Unternehmen und Verbrauchern Gutes getan werden soll. Es soll auch gar nicht bestritten werden, dass die jetzt an der Einigung Beteiligten diese Absichten verfolgt haben. Ob es dazu kommt, wird sich erst in den Niederungen der Praxis herausstellen. Zu erwarten ist ein hoher Output an neuen Bestimmungen und Regeln – und zu befürchten ist viel Bürokratie, um sich daran zu halten. Das Jahr 2024 wird zeigen, ob sich das bewahrheitet.

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