Notiert inTokio

Die Angst des Vermieters vor der Verwesung

Die Vorbehalte gegen Senioren und Rentner als Mieter sind in Japan groß. Denn eine mögliche Kontaminierung der Wohnung durch unbemerkt Verstorbene hat für die Eigentümer zwei unerwünschte Auswirkungen.

Die Angst des Vermieters vor der Verwesung

Notiert in Tokio

Verwesung fürchtende Vermieter

Von Martin Fritz

Wer in Japan ins Seniorenalter kommt, kann nur noch schwer eine Wohnung mieten, obwohl die Leerstandsquote landesweit rund 13% beträgt. Das Problem ist so groß, dass sich Beamte von drei Ministerien kürzlich zusammensetzten, um über Lösungen zu beraten. Ein Grund ist die Sorge von Wohnungseigentümern und Immobilienmaklern, dass “alte” Mieter nur wenig Rente beziehen und daher mit den Mietzahlungen in Rückstand geraten könnten.

Doch der Hauptgrund ist eher landestypisch: Denn laut einem Magazinbericht sind Vermieter deswegen zunehmend abgeneigt, an Menschen “über 60” zu vermieten, weil sie befürchten, dass solche Mieter einsam in der Wohnung sterben und dadurch beträchtliche Kosten für die Renovierung verursachen. Insbesondere denken die Eigentümer dabei an den üblen Geruch, der in Japan besonders stark mit dem „einsamen Tod“ assoziiert wird.

Immer wieder berichten die TV-Hauptnachrichten von Fällen, wo die Nachbarn einen Fäulnisgeruch bemerken und die Polizei rufen. Diese entdeckt beim Betreten der Wohnung eine Leiche, die wochen- und monatelang dort verweste, Maden, Bakterien und Insekten anlockte und durch austretende Körperflüssigkeiten auf Reisstrohmatten und Fußböden das Mietwohnungshaus verpestete. Je nach der Verwesungsdauer kann die Wiederherstellung des ursprünglichen Wohnungszustandes viele Tausend Euro kosten. Neben diesem finanziellen Aufwand befürchten die Vermieter auch, dass sich ihre Wohnung gar nicht mehr vermieten lässt. Denn die meisten Japaner sind gläubige Buddhisten und ängstigen sich davor, dass der ruhelose Geist des Verstorbenen weiter in seiner alten Wohnung herumspukt.

Das Ausmaß dieser sozialen Krise ist nicht zu unterschätzen. Immerhin wohnen rund 7 Millionen Senioren allein, jeder dritte davon ist ein Mieter. Mit der zunehmenden Vergreisung wächst die Zahl von Fällen mit „einsamem Tod“, was die Abneigung der Vermieter verstärkt. Kürzlich beschwerte sich ein älteres Ehepaar bei der Immobilienagentur R65, die auf Senioren im Alter über 65 Jahren als Mieter spezialisiert ist: “Obwohl wir beide einen Arbeitsplatz haben, können wir keine Wohnung bekommen, weil wir schon über 60 sind.” Ein Gesetz gegen Altersdiskriminierung existiert in Japan bisher nicht.

Die Agentur führte eine Umfrage unter 500 Personen im Rentenalter durch, die eine Wohnung gesucht hatten. Dabei kam heraus, dass jeder Vierte unabhängig von der Höhe seines Einkommens schon einmal wegen seines Alters abgelehnt wurde. 10% der Befragten gaben sogar an, fünf oder mehr Mal abgelehnt worden zu sein. “Viele Wohnungseigentümer sind besorgt, weil sie noch nie an ältere Menschen vermietet haben”, sagte Agenturchef Ryo Yamamoto der Zeitung “Asahi”.

Durch die demografische Entwicklung mit einem Bevölkerungsanteil der über 65-Jährigen von aktuell 29% steigt die Zahl der älteren Menschen, die wegen skeptischer Vermieter keine Wohnung finden und auf der Straße landen. Die dafür notwendigen Sozialleistungen möchte Japans klammer Staat unbedingt vermeiden. „Wenn wir nicht für preiswerten Wohnraum sorgen und einen Dienst zur Betreuung älterer Menschen einrichten, wird die Gesellschaft in zehn Jahren in einer katastrophalen Lage sein”, sagte ein hoher Beamter des Gesundheitsministeriums. Andererseits nimmt die Zahl der Einpersonenhaushalte von jungen Leuten ab, was unterm Strich zu mehr unvermieteten Privatwohnungen führt. Dennoch lassen Vermieter ihr Eigentum lieber leerstehen, als dass sie den statistisch eigentlich eher seltenen Fall eines „einsamen Toten“ in ihrer Wohnung riskieren.

Die zunehmende Zahl älterer Menschen ohne lebende Verwandte hat die Regierung jetzt dazu veranlasst, diese Gruppe bei der Wohnungssuche zu unterstützen. Konkrete Maßnahmen inklusive Gesetzesänderungen sollen im Herbst vorliegen. „Die Eigentümer sollen sich bei der Vermietung an Senioren sicher fühlen“, erklärte ein Beamter.

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