Start-ups

Die Direktoren im Einhornzoo

Nie gab es so viel Geld für deutsche Start-ups im Milliardenwert. Woher kommt es? Aus dem Ausland. Zum Beispiel von Silvio Berlusconi.

Die Direktoren im Einhornzoo

Die Flut hebt viele Boote. Der offene Geldhahn der Notenbanken samt geldentwertender Inflation, flankiert von billionenschweren staatlichen Konjunkturprogrammen und der Renditejagd der Investoren in Nullzinszeiten füllt auch die Kassen deutscher „Einhörner“ – nichtbörsennotierter Jungunternehmen mit einer Bewertung oberhalb von 1 Mrd. Dollar. Die Finanzierungsrunden für deutsche Start-ups haben im ersten Halbjahr einen Rekordwert erreicht. Mit 7,6 Mrd. Euro floss dreimal so viel frisches Eigenkapital an hiesige Jungunternehmen wie im Vorjahreszeitraum – und zugleich mehr als im gesamten Jahr 2020. Auch die Zahl der Finanzierungsrunden stieg sprunghaft – um 62% auf 588. Größte einzelne Deals waren die Finanzspritzen für den Datenanalysespezialisten Celonis aus München (830 Mill. Euro) sowie den Online-Broker Trade Republic (747 Mill. Euro) und das Insurtech Wefox aus Berlin (539 Mill. Euro).

Doch woher stammt das Geld? Vielleicht nicht überraschend, aber dennoch interessant ist die Dominanz ausländischer Investoren. Das geht aus einer unveröffentlichten Recherche des Wagniskapital-Spezialisten Redstone hervor, der mit seiner Datenbank große Unternehmen bei ihren Corporate Venture Capital Investments in Digitalfirmen berät. Der Datenanalyse zufolge haben 23 Investoren jeweils mindestens zwei deutsche „Einhörner“ in ihrem Portfolio. Eigentümer der meisten deutscher Einhörner ist das Family Office H14. Die Holding Italiana Quattordicesima (H14) ist an sechs der 19 deutschen Einhörner beteiligt – an Sennder, Trade Republic, Getyourguide, Forto, Wefox und Flixbus. Das Family Office ist mit der Familie des italienischen Ex-Ministerpräsidenten und Milliardärs Silvio Berlusconi verbunden. Sein Nettovermögen wird auf 8 Mrd. Dollar geschätzt.

Auch bei der Summe des in deutsche Einhörner investierten Kapitals steht mit 312 Mill. Dollar ein ausländischer Investor an der Spitze: der chinesische Internetkonzern Tencent mit Investments in Lilium, N26, Gorillas und Scalable Capital. Weitere dominierende Auslandsinvestoren sind Accel aus Palo Alto, Baillie Gifford aus Edinburgh und der Tiger-Global-Ableger Arena Holdings. Nur bei der Anzahl der begleiteten Einhorn-Finanzierungsrunden steht mit 17 Deals der deutsche Wagniskapitalgeber HV Holtzbrinck Ventures an der Spitze – der einzige heimische Lichtblick.

Was ist so schlimm daran, wenn das Kapital für junge deutsche Wachstumsunternehmen aus dem Ausland kommt? Erst einmal gar nichts. Aber es ist auch nicht bedeutungslos. Global dominiert in der Venture-Capital-Finanzierung inzwischen mit weitem Abstand die Einhorn-Fabrik Tiger Global aus dem Silicon Valley mit 79 Mrd. Dollar Vermögen. Der höchst profitable Tech-Investor (mit Gebühreneinnahmen von 1 Mrd. Dollar und nur 120 Beschäftigten) hält mehr Beteiligungen an Einhörnern als jedes andere Investmenthaus und hat im laufenden Jahr in 170 Finanzierungsrunden investiert – also an jedem Tag einen Deal gemacht. Eine Buchprüfung ist bei diesem Tempo zumindest nicht mehr im herkömmlichen Sinne möglich. Manchmal wird das 70-Fache vom Umsatz gezahlt.

Jungunternehmen, die sich von Tiger Global & Co finanzieren lassen, müssen sich oft nach den US-Maßstäben der Rechtsprechung richten. Im Board sitzen meist viele Amerikaner. Unter diesen Start-ups sind Firmen, die darüber bestimmen, wie die Europäer ihre Satelliten ins All schießen, um damit autonom fahrende Autos zu lenken – wie etwa Isar Aerospace. Oder Firmen, die unsere Zahlungen abwickeln. Von der viel beschworenen „digitalen Souveränität“ kann keine Rede sein. Ein Warnschuss war auch der Fall Curevac. Der frühere Präsident Donald Trump wollte die Firma und ihren Impfstoff für sich beanspruchen, weil sie in den USA notiert ist. Eine Firma aus Deutschland wird so zur Tochter eines US-Unternehmens. Dort werden auch die Steuern gezahlt. Zudem kann die Superbehörde CFIUS für ausländische Investments in Amerika jederzeit bestimmte Investorengruppen blockieren.

Wichtigste Ursache für die US- und Auslandsdominanz bei deutschen Start-ups ist aber nicht etwa amerikanische Industriepolitik. Vielmehr hat der US-Kapitalmarkt schlicht tiefere Taschen, weil die Altersvorsorge dort kapitalgedeckt ist. Hierzulande basiert die Altersvorsorge auf dem Generationenvertrag, und somit fehlt chronisch das Kapital für Innovationen. Trotzdem hat sich in den vergangenen Jahren ein erfreulich funktionierendes Ökosystem für Venture Capital in Deutschland herausgebildet – wenn auch mit Kapital aus dem Ausland.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.