Im BlickfeldEnergiewende

Wer soll das bezahlen?

Die Energiewende ist ein teures Unterfangen. Hersteller wie Siemens Energy werden zwar mit Aufträgen überflutet. Aber die weiter erforderlichen Investitionen und Innovationen verlangen neue Finanzierungskonzepte.

Wer soll das bezahlen?

Die Energiewende ist das Top-Thema der nächsten zehn Jahre. Dies zeigt nicht nur die öffentliche Diskussion, sondern auch der Blick in die Auftragsbücher der Hersteller von Kraftwerken, Windrädern und Stromtrassen. „Die Energiebranche steht am Anfang eines Superzyklus“, erklärt Joe Kaeser, Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens Energy, im Rahmen einer Journalistenreise des Konzerns nach Cuxhaven, Hamburg und Berlin. In diese Kerbe schlägt auch Vorstandsvorsitzender Christian Bruch: „Wir sehen eine Investitionswelle im Energiebereich.“

Dies lässt sich am Beispiel des früheren Siemens-Geschäfts leicht nachvollziehen. Der Konzern, der die gesamte Ausrüstungspalette für die Stromproduktion in seinem Portfolio hat, sitzt auf einem Rekord-Auftragsbestand von 102 Mrd. Euro per Ende März. Dies ist ein Fünftel mehr als eineinhalb Jahre zuvor. Siemens Energy bräuchte aktuell rechnerisch drei Jahre, um alle Aufträge abzuarbeiten, selbst wenn keine neuen Orders mehr angenommen würden.

Die Auftragswelle trägt nicht nur die Boom-Sparten wie den Windturbinenbau, sondern geht quer durch den ganzen Konzern. „Das ausgereifte Geschäft, das unserer Planung zufolge um einen mittleren einstelligen Prozentsatz zulegen sollte, wuchs im vergangenen Jahr um 25%“, berichtet Siemens-Energy-Vorständin Anne-Laure Parrical de Chammard. Sie verantwortet unter anderem das Geschäft mit Kompressoren, die nun nicht nur in der Ölförderung, sondern auch beispielsweise für Wasserstoff-Pipelines eingesetzt werden.

Volle Werke

Das gleiche Bild sieht Kolja Schwarz, der einst das Portfolio hochentwickelter Gasturbinen geleitet hat und nun die Strategie des Konzerns vermittelt, mit Blick auf den Bau von Gaskraftwerken in Berlin Moabit: „Das Werk ist derzeit wieder voll, wir haben eine sehr hohe Auslastung.“ Wer aktuell eine große Gasturbine bestelle, der erhalte sie nicht vor dem Jahr 2026.

Dass die Energiewende trotz dieser Dynamik kein Selbstläufer ist, gehört mittlerweile zum Allgemeinwissen. Genehmigungsverfahren sind zu lang und politische Widerstände immens. Doch eine weitere Frage beschäftigt eher die Fachleute: Wer, um Gottes willen, soll dies alles bezahlen?

Die heiß gelaufene Heizungsdiskussion beweist, dass dies keine akademische Frage ist. In der Energiewende sind aber noch ganz andere Vorhaben verborgen, die bisher nur zum sehr geringen Teil ihren Weg in die Auftragsbücher gefunden haben. Dies führt beispielhaft ein Thema vor Augen, das aktuell in der öffentlichen Diskussion keine große Rolle spielt: der Ausbau der Stromtrassen.

Das Netz in Europa und den Vereinigen Staaten müsse bis zum Jahr 2050 etwa verdoppelt werden, um das kommunizierte Ziel der Reduktion von Kohlendioxid-Emissionen zu erreichen, erklärt Tim Holt, der im Vorstand von Siemens Energy für die Sparte Transmission zuständig ist, im Berliner Werk des Unternehmens. So müssten die USA in den nächsten 15 Jahren den gleichen Betrag in Trassen investieren, den das Land in den vergangenen 150 Jahren ausgegeben habe. In den darauffolgenden 15 Jahren müsse diese Summe dann nochmals bereitgestellt werden.

Ähnlich gigantische Dimensionen haben auch die langfristig erforderlichen Stromverbindungen in Deutschland. Man rede über 300 bis 350 Mrd. Euro, wenn man alles so machen wolle, wie man es sich heute wünsche, schätzt Kaeser.

Extrem hohe Investitionen fließen auch in die Windkraft, teils an Stellen, die nicht so im Fokus stehen, wie Vorstandsvorsitzender Bruch erläutert. Es müssten etwa Häfen ausgebaut und Brücken ertüchtigt werden. Insgesamt gelte: „So viel Wachstum war in dieser Industrie noch nie da.“ Dies werde ein Riesen-Kraftakt, der nicht zu unterschätzen sei. Am Ende stehe die Frage: „Können Sie Projekte finanzierbar machen?“

Privatisierung von Infrastruktur

Die Antwort ist aus Sicht der Siemens-Energy-Spitze klar. „In den gewohnten Bahnen wird dies nicht funktionieren“, erklärt Kaeser. Für Bruch bedeutet dies: „Wir müssen uns über Finanzierungskonzepte Gedanken machen.“

Die gute Nachricht aus Sicht des Aufsichtsratsvorsitzenden Kaeser: „Unendlich viel Geld sucht langfristige Anlagemöglichkeiten.“ Energieinfrastruktur sei ein ideales Investitionsziel mit Renditen von 5 bis 8%, weil es sich um pensionsfondstaugliche Anlagen handle. Seine Schlussfolgerung: „Der Druck zur Privatisierung von Energieinfrastruktur wird zunehmen, wenngleich sie reguliert bleibt.“

Beispielsweise müsse man auch für den Ausbau der Stromnetze neue Wege gehen, betont Kaeser: „Ich weiß nicht, warum die Bundesregierung unbedingt die Deutschland-Sparte des niederländischen Stromnetzbetreibers Tennet mit dem Geld der Steuerzahler übernehmen muss.“ Es gebe auch die Möglichkeit, eine Bürgerbeteiligung zu realisieren, bis zur Einbringung in pensionsähnliche Vehikel.

Das Problem der Garantien

Bruch sieht Handlungsbedarf an weiteren Stellen. 45% der Technologien, die für eine komplette Eliminierung von CO2-Emissionen erforderlich seien, seien aktuell noch nicht marktreif, lautet seine Schätzung. Doch wie seien die erforderlichen Innovationen zu fördern?

Natürlich könne Siemens Energy eine Wasserstoff-Elektrolyse mit einer Leistung von 100 MW bauen, sagt Bruch. Doch wenn man eine Größenordnung mehrerer Gigawatt haben wolle, dann müssten diese Technologien viel schneller skalieren, als man es jemals gesehen habe. Ein ähnliches Thema aus seiner Sicht ist die Abscheidung von Kohlendioxid und seine Speicherung in der Erde. Zwar rede jeder über die nächste coole Innovation. Doch: „Wir sehen alle, dass die Start-ups in einen Pilotstatus kommen und dann nicht skalieren.“

Die daraus folgende Frage des Vorstandschefs: „Wer kann das Risiko tragen?“ Die Herausforderung neuer Technologien sei immer, wer welche Garantien gebe. Es liege auf der Hand: „Wir als Hersteller allein machen das nicht.“ Siemens Energy könne beispielsweise nicht garantieren, dass eine Elektrolyse 20 Jahre störungsfrei laufe. Wenn die Hersteller aber nur eingeschränkte Garantien gäben, dann erhielten die Käufer der Anlagen auch keinen Kredit: „Wenn wir das nicht lösen, dann werden die Projekte nicht finanziert werden.“

Zwar hat Siemens Energy gemeinsam mit Breakthrough Energy von Bill Gates und knapp zwei Dutzend CEOs anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz im vergangenen Februar „The Energy Resilience Leadership Group“ gegründet, im Beisein von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Aber die Diskussionen seien noch am Anfang, betont Bruch: „Am Ende wird es alle am Tisch brauchen“ – beispielsweise auch Banken und Versicherer. Eine Rolle könnten auch die KfW Bankengruppe und die Europäische Investitionsbank als Kapitalgeber für den Klimaschutz spielen.

Voll des Lobes ist das Management von Siemens Energy für den Inflation Reduction Act (IRA), mit dem die USA über Steuernachlässe unter anderem Windenergieanlagen und Fotovoltaik fördert. Zwar lägen die endgültigen Regeln erst im Herbst vor, sagt Jochen Eickholt, der als Vorstandschef die Energy-Tochter Siemens Gamesa leitet.  Doch: „Seitdem der IRA veröffentlicht wurde, ist die Welt wie gewandelt.“ Die Fantasie sei sehr groß. Beispielsweise gebe es viel mehr Projektideen, bei denen alte Turbinen durch neue Anlagen ersetzt würden. Dieses Repowering werde ähnlich wie Neubauten gefördert. Siemens Gamesa fahre aktuell zwei stillgelegte Werke für die Produktion von landgestützten Windenergieanlagen (onshore) hoch. Es würden darüber hinaus beim Zuschlag für entsprechende Projekte, für die sich Siemens Gamesa bereits beworben hat, zwei neue Offshore-Fabriken errichtet.

Konkretisierungsbedarf sieht Bruch dagegen für die europäische Antwort auf den IRA: „Es ist noch nicht klar genug, wie der Green Deal Industrial Plan eigentlich funktionieren soll.“ Lobend erwähnt er die klare Position Frankreichs, Fertigung in Europa halten zu wollen: „Das ist richtig.“ Der EU-Plan wolle zwar 40% lokale Wertschöpfung auf dem Kontinent, diesen Wert erreichten jedoch im Fall der Windturbinen die europäischen Hersteller schon heute: „Damit sichert die EU noch keine europäische Windindustrie.“ Die Ausgestaltung des Green Deal Industrial Plan werde als Randbedingung auch eine Rolle spielen bei der Frage, ob es für Siemens Energy Sinn mache, nochmals in das Geschäftsfeld Fotovoltaik einzusteigen.

Wachstum aus eigener Kraft

Siemens-Gamesa-Chef Eickholt plädiert bei der Vergabe von Windparks für eine größere Bedeutung qualitativer Kriterien. Statt 30 bis 40% sollten sie künftig wie in den Niederlanden mit etwa 75% gewichtet werden, während zugleich die rein monetären Parameter entsprechend weniger zählten. Das Ziel: „Wir sollten Kompetenz und Kapazität in Europa halten“ – auch mit Blick auf chinesische Turbinenhersteller, die von Peking stark unterstützt würden. Das Fazit von Bruch: „Man muss ja nicht den Markt abschotten, aber man sollte qualitative Kriterien schaffen.“

Siemens Energy selbst sieht sich für die geschäftliche Expansion finanziell gerüstet. Vorzugsweise wolle man das Wachstum durch Innenfinanzierung und nicht durch eine weitere Kapitalerhöhung unterstützen, erklärt Kaeser: „Darauf ist alles ausgelegt.“ Aktuell geben hohe Anzahlungen infolge der Orderschwemme zusätzlichen Schwung.

Neue finanzielle Überlegungen kommen auch auf die Kunden zu. Wenn etwa Seltene Erden oder Permanentmagneten für Windturbinen nicht mehr wie bisher zu 100% aus China bezogen werden sollen, „wird das höhere Kosten bedeuten“, erklärt Vorstandschef Bruch. Man werde beobachten, ob die Kunden bereit seien, für diversifizierte Lieferketten zu zahlen. Einige Abnehmer hätten bereits Interesse gezeigt, Seltene Erden aus Australien zu kaufen, detailliert Eickholt. Der Preis australischer Rohstoffe liege jedoch um einige Prozentpunkte höher.

Die Energiewende:
Wer soll das finanzieren?

Hersteller wie Siemens Energy fordern neue Konzepte auch für Innovationen

Von Michael Flämig, Cuxhaven und Berlin
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