informeller Austausch

Die Grenzen des Homeoffice

Aufstehen, waschen, anziehen, frühstücken (Börsen-Zeitung lesend), arbeiten – wobei es zur Arbeit nur ein paar Schritte sind in der neuen Welt des Homeoffice. Ist doch praktisch: Keine weiten Wege mehr zum Büro, das spart bei vielen ein, zwei...

Die Grenzen des Homeoffice

Aufstehen, waschen, anziehen, frühstücken (Börsen-Zeitung lesend), arbeiten – wobei es zur Arbeit nur ein paar Schritte sind in der neuen Welt des Homeoffice. Ist doch praktisch: Keine weiten Wege mehr zum Büro, das spart bei vielen ein, zwei Stunden Fahrzeit am Tag, bei Fernpendlern noch mehr. Stattdessen länger schlafen, die Familie um sich, Mittagessen nach Wahl vor Ort und ohne Anstehen, der Vier-Uhr-Kaffee wird einem an den Schreibtisch gereicht – ach, wie ist es schön in der schönen neuen Heimarbeitswelt. Und auch der Arbeitgeber hat viele Vorteile: Der Flächenbedarf sinkt, ebenso die Reisekosten für Meetings (die jetzt virtuell und kürzer abgehalten werden), die Mitarbeiter sind morgens entspannter, da nicht durch (weite) Anfahrtswege gestresst.

Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Zum einen kommt das Homeoffice für viele gar nicht infrage: Handwerker, Mitarbeiter im Gesundheitswesen, produzierendes Gewerbe, der Einzelhandel. Zum anderen hat das Homeoffice auch gravierende Nachteile. Bei weitem nicht jeder Arbeitnehmer hat zu Hause einen eigenen Schreibtisch und gar ein eigenes Arbeitszimmer. Am Küchentisch lässt es sich nun einmal, schon gar nicht mit eingeschränkter Technik (Laptop statt PC, schwache Datenleitung) nicht so gut arbeiten – zumindest auf Dauer und noch umgeben von Partnerin und Kindern, die auch noch remote arbeiten beziehungsweise lernen müssen. Der Mittagstisch wird schnell zum mühsamen Kraftakt (Kochen braucht seine Zeit, und jeden Tag Tiefkühlpizza ist auch nix), und auch der Mokka macht sich nicht von selbst. Nicht zuletzt: Nach Monaten der coronabedingten Klausur fällt so manchem die Decke auf den Kopf – nicht jeder joggt regelmäßig, und gelegentliche Spaziergänge mit dem Hund helfen nur begrenzt.

Wie sieht es aus Sicht der Unternehmen aus? Das mit der mangelnden Kontrolle – früher ein häufiges Argument gegen Heimarbeit – hat sich sehr relativiert. Nach einer Umfrage hat nur eine kleine Minderheit der Personalverantwortlichen einen Rückgang der Produktivität festgestellt. Untersuchungen, die schon lange vor dem Ausbruch der Pandemie gemacht wurden, haben aber gezeigt, dass Heimarbeiter dazu tendieren, über ihre Regelarbeitszeit hinaus für Kunden und Kolleginnen erreichbar zu sein und so letztlich mehr zu arbeiten als im Büro – wo man im Übrigen noch Zeit für den Plausch mit Kollegen und in der Kaffeeküche hat.

Gerade dies, der informelle Austausch, ist aber sehr wertvoll. Er fördert den Teamgeist und kann neue Ideen hervorbringen. Auf Kreativität ist aber ein Unternehmen, das auch zukünftig am Markt be­stehen will, angewiesen. Team­bildung hat noch einen weiteren Effekt: die Integration neuer Mitarbeiter. Die ist im Homeoffice nur schwer möglich – trotz Teams, Zoom ­& Co.

Damit zeigt sich das Arbeiten von zu Hause auch aus Blick der Mitarbeiter als zweischneidiges Schwert. Den beschriebenen Vorteilen steht eben ein stark eingeschränkter Kontakt mit Kunden, Kolleginnen und Vorgesetzten gegenüber. Mails schreiben, telefonieren oder Vi­deo­konferenzen sind nur ein schwacher Ersatz für ein persönliches Treffen. Auch der Team-Kaffeeklatsch am Bildschirm ist nur eine Krücke.

Was heißt das nun für die Zukunft des Homeoffice? Jetzt in den Zeiten der Corona-Pandemie ohne Impfschutz dürfte das Home­office zumindest bei den großen Unternehmen mit Quoten von bis zu 90% (bei Frankfurter Großbanken) ausgereizt sein. Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen und solchen mit viel Kundenkontakt (z. B. Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken) ist das wohl anders. Einer Ausweitung des Homeoffice stehen da geöffnete Filialen, aber auch die teilweise unzureichende Technik (Hardware, Datenleitung) entgegen. Daran dürfte sich in den nächsten Wochen wenig ändern.

Und wie steht es mit dem Homeoffice nach Ende der Pandemie? Sicherlich werden dann auch die meisten Großunternehmen ihre Präsenzzahlen wieder hochfahren. In der Diskussion kristallisiert sich in Vollzeit ein Drei-zu-zwei-Schema heraus mit drei bzw. zwei Tagen zu Hause bzw. im Büro. Die Bürozeit soll vor allem für Meetings im Team und darüber hinaus genutzt werden, den Gruppenzusammenhalt zu festigen und für neue Ideen zu sorgen. Die häufigen Abwesenheiten erfordern von Führungskräften zusätzlichen Koordinationsaufwand und machen aus Kontrolleuren Coaches.

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