Im BlickfeldInvestor Relations

Die Stunde der Kleinaktionäre

Der computergesteuerte Börsenhandel fordert von Unternehmen neue Ideen in der Investorenansprache. Privatanleger rücken in den Fokus.

Die Stunde der Kleinaktionäre

Die letzte große Aktienkampagne der Deutschen Telekom ist gerade Kleinaktionären hierzulande nicht in bester Erinnerung und wird immer beispielhaft als schwerer Schlag für die unzureichende Aktienkultur in Deutschland angeführt, aber das ist gefühlt "Lichtjahre" her und hält das Unternehmen nicht davon ab, für den Dialog gerade mit dieser Anlegergruppe einen neuen Anlauf zu machen. Vor wenigen Tagen hatte bei dem Bonner Konzern ein Investoren-Call der anderen Art Premiere. Nach der Bekanntgabe der Halbjahresergebnisse suchte die Telekom am 15. August nicht nur wie üblich das Gespräch mit Institutionellen, sondern lud auch private Kleinaktionäre zu einem Live-Webcast ein. Genutzt wurde dafür die Online-Plattform Particify, wo die Teilnehmer ihre Fragen posten konnten, nach Wunsch auch anonym und ohne Registrierung, um auch "Authentizität hier glaubwürdig zu machen".

120 Teilnehmer

Mit der Resonanz für diesen Erstversuch war Hannes Wittig, Leiter Investor Relations bei dem Dax-Konzern, durchaus zufrieden. "Wir hatten 50 Fragen von 120 Teilnehmern, für die wir die Antworten kurz zusammengefasst und erläutert haben", sagt Wittig der Börsen-Zeitung. Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und das Video anschließend 900-mal abgerufen, wie sein Kollege Christoph Greitermann ergänzt. Bei einem Community-Event Anfang Juni, wo die Telekom "mit allen teilnehmenden Aktionären einen Dialog auf Augenhöhe" angestrebt hat, aber besonders auch mit jungen Privatanlegern der "Generation Aktie" ins Gespräch kommen wollte, waren immerhin 130 Interessierte in die Konzernzentrale gekommen.

Im Dialog mit Privatanlegern setzt die Telekom abgesehen von Präsenzveranstaltungen auch auf die Zusammenarbeit mit Finfluencern, mit deren Online-Communities wie Aktiengram und Abilitato sie das Event vorbereitet hatte. Dem Dax-Konzern kommt für diese Aktivitäten die jüngste Entwicklung eines wachsenden Interesses gerade junger Menschen an der Aktienanlage entgegen. Das Deutsche Aktieninstitut (DAI) hat in seiner Erhebung zu den Aktionärszahlen des vergangenen Jahres festgestellt, dass sich "der Jugend-Boom" fortsetzt. Demnach haben 600.000 junge Leute unter 30 Jahren 2022 mit dem Aktiensparen begonnen. Insgesamt zählte das DAI 12,9 Millionen mit Aktienbesitz, 830.000 mehr als im Vorjahr, entsprechend 18,3% der Bevölkerung. Vor zehn Jahren waren es 14,7%.

Algorithmen regieren

Aus Sicht von Wittig gibt es gute Gründe, diesen positiven Trend für sich zu nutzen. Tatsächlich besteht die Chance, dass Kleinaktionäre im Dax ihren Schattenplatz verlassen und wachsenden Einfluss gewinnen könnten. Denn im Dialog mit großen Institutionellen wird Investor Relations zunehmend zu einer schwierigen und oft auch wenig befriedigenden Übung, weil ein wachsender Teil des Aktienhandels ohnehin durch Algorithmen bestimmt wird. Auch vielfältige Regularien, wie unter anderem hierzulande die angesichts des Linde-Rückzugs vieldiskutierte Kappungsgrenze oder die Verpflichtung, einen Index nachzubilden, schränken die Handlungsfähigkeit von Fondsmanagern ein. "Dass der Markt zu jedem Zeitpunkt durch aktive Investorenentscheidungen institutioneller Anleger gemacht wird, erscheint mir als schöne Fiktion", beklagt Wittig.

Stattdessen wird der Kurs oft von "Momentum" getrieben. Während der Corona-Pandemie stürzte die T-Aktie von etwa 16 Euro auf um die 10 Euro ab, obwohl eigentlich die Branche insgesamt glaubhaft machen konnte, den Folgen der Pandemie mit großer Resilienz begegnen zu können. Auch an die Kursentwicklung der erfolgreichen US-Tochter, die für rund 80% der Börsenkapitalisierung des Konzerns steht, konnte die T-Aktie bisher nicht anknüpfen – allerdings auch, weil ein solches Gewicht auch als Klumpenrisiko wahrgenommen wird.

Im elektronischen Börsenhandel werden oft durchaus nachvollziehbare quantitative Kriterien zugrunde gelegt, die Kauf- oder Verkaufsimpulse setzen, wie etwa die Verschuldung eines Unternehmens oder der Dividenden-Track-Record. Da habe die T-Aktie "aufgrund der Kosten der US-Fusion natürlich ein paar Minuspunkte kassiert". Die Telekom hatte infolge der Übernahme von T-Mobile US die Dividende gekürzt, die Verschuldung war deutlich angeschwollen. Gerade deshalb setzt Wittig auf einen intensiveren Dialog mit Privatanlegenden, "die noch selbst aktiv Anlageentscheidungen treffen und die man durch Argumente erreichen kann". So hofft er, Kurspotenzial für die T-Aktie zu heben. Zumal das Unternehmen hier auch deshalb einiges bewegen kann, weil 1,3 Millionen Privatanleger immerhin 17% aller T-Aktionäre ausmachen. Im Dax insgesamt halten private Kleinaktionäre im Mittel 12,9%, wie aus der jüngsten Erhebung des Investor-Relations-Verbands DIRK hervorgeht. Die Quote ist rückläufig, allerdings deshalb, weil vor allem Newcomer im Dax 40 wie etwa Zalando einen geringen Anteil an Kleinanlegern haben.

Segmentierung wichtig

Voraussetzung für eine gezielte Ansprache von Aktionären ist aus Sicht von Investor-Relations-Verantwortlichen zunächst eine Segmentierung der Gesamtbasis, um "gezielt das Informationsbedürfnis spezifischer Gruppen zu treffen", so Wittig. Dabei steht nicht nur die Telekom noch ganz am Anfang. :“Wir wollen unsere Privatanlegenden dort erreichen, wo sie sich informieren. Dabei spielen Social Media eine steigende Rolle, aber auch Online-Portale oder Finfluence, sowie unsere IR-Website", summiert der Manager. Dabei ist ohne Zweifel Luft nach oben, mancherorts allerdings noch mehr. Die Porsche AG, die 2022 ein milliardenschweres Börsen-Comeback, auch getragen von einer starken Nachfrage von Kleinanlegern, feierte, lässt auf ihrer IR-Seite ziemlich vage wissen: "Vorzugsaktien werden, soweit dies bekannt ist, mehrheitlich von der Volkswagen AG mittelbar gehalten. Die weiteren im Streubesitz befindlichen Vorzugsaktien verteilen sich auf institutionelle Investoren sowie private Anleger."

Nicht nur um nachhaltig positive Impulse für die Aktie eines Unternehmens zu setzen, ist indes ein Dialog mit Privatanlegern nicht nur zielführend, sondern mitunter auch kriegsentscheidend. In erfolgskritischen Situationen, wie M&A-Transaktionen, IPOs und großen Kapitalerhöhungen oder Aktivistenattacken, können wenige Einzelstimmten mitunter den Ausschlag geben, betont die PR-Agentur Finsbury Glover Hering (FGS Global). Die Kommunikationsberater betrachten insbesondere "Online-Initiativen" oft als "einen wichtigen Baustein der Gesamtkampagne" und haben in einer Studie unter 1.000 Einzelaktionären und -aktionärinnen, die in einzelne Titel investiert sind, drei Archetypen identifiziert: den Neotrader, den Informierten und den Stetigen. Dabei wurde insbesondere das unterschiedliche Informationsverhalten der jeweiligen Typen untersucht. Ziel ist auch hier, möglichst "jeden Anlegertypus online mit relevantem Wissen zu versorgen".

Als Neotrader gelten junge Anleger unter 25, die in der Regel Einzelaktien von 2 bis 5 Unternehmen halten, Kleinsummen bis zu 5.000 Euro investieren und sich einmal im Monat über ihr Engagement informieren wollen. Der meist genutzte Kanal ist dabei Instagram. Dagegen investierte der Informierte, meist die Altersgruppe zwischen 25 und 54 Jahren, bis zu 20.000 Euro und nutzt ebenfalls Instagram, aber auch Facebook, darüber hinaus andere Nachrichtenportale oder auch die Homepage des Unternehmens, wo investiert wurde, meist wöchentlich. Stetig Anlegende sind über 54 Jahre alt und informieren sich mindestens einmal im Monat primär über Facebook – so die Ergebnisse der Studie. Als Kaufkriterien nennen Anleger demnach die vergangene Kursentwicklung, Dividendenzahlungen und langfristige Gewinne.

Diese Erkenntnisse sollten mehr Unternehmen motivieren, gerade auch ihre Privatanleger besser kennenzulernen. Bei der Telekom hätte die IR jedenfalls nichts dagegen, wenn ihr Beispiel Schule machen würde, so Wittig. Der Aktienkultur in Deutschland könnte das nur gut tun.

Die Stunde der Kleinaktionäre

Der computergesteuerte Börsenhandel fordert von Unternehmen neue Ideen in der Investorenansprache. Privatanleger rücken in den Fokus.

Von Heidi Rohde, Frankfurt
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