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Diversifikation, solange der Petrodollar noch rollt

Wohin mit den Petrodollar? Auf diese Frage haben Staatsfonds aus dem Nahen Osten neue Antworten gefunden.

Diversifikation, solange der Petrodollar noch rollt

Diversifikation, solange der Petrodollar noch rollt

Arabische Staatsfonds schlagen neue Wege in der Anlagestrategie ein

Von Annette Becker, Düsseldorf

Erst kam der Ausverkauf nach China, jetzt sind es arabische Staaten aus dem Nahen Osten, die ihre Fühler vermehrt nach deutschen Unternehmen ausstrecken. Jüngstes Beispiel ist Adnoc, der staatliche Ölkonzern aus Abu Dhabi, der Interesse an der Übernahme des Kunststoffkonzerns Covestro zeigt. Das erste informelle Angebot haben die Leverkusener kürzlich zurückgewiesen. Damit dürfte das Thema jedoch nicht aus der Welt sein.

Adnoc ist nur das jüngste Beispiel für das wachsende Engagement der Ölscheichs in Deutschland und Europa. Dass die Investoren aus dem Nahen Osten gerade jetzt auf Einkaufstour gehen, hat vielfältige Gründe. Anders als die westliche Welt ist die Wirtschaft in den Ländern des Nahen Ostens nach Angaben der Unternehmensberatung Bain & Company 2022 um 6,5% gewachsen – so schnell wie seit mehr als einer Dekade nicht mehr. Grund dafür war die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Energiekrise, die Öl- und Gaspreise in die Höhe trieb. Folglich sitzen Länder wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Katar auf prall gefüllten Staatskassen.

Guter Zeitpunkt

Zugleich driftet die europäische Wirtschaft Richtung Rezession. Reihenweise schrauben Firmen aus zyklischen Industrien ihre Gewinnerwartungen nach unten, mit entsprechenden Folgen für deren Marktbewertung. Für strategische Investoren, die einen längeren Atem mitbringen und sich um die Finanzierung keine Gedanken machen müssen, ist also jetzt der ideale Einstiegszeitpunkt. Zumal die Zahl der rivalisierenden Bieter abgenommen hat, seit Private-Equity-Fonds im Gefolge der Zinswende nicht mehr auf billiges Fremdkapital zurückgreifen können.

Ging es den mit ihren Erdölexporten reich gewordenen Ländern in den 1970er Jahren vorrangig darum, die Einnahmen aus dem Ölverkauf möglichst hochverzinslich anzulegen, hat inzwischen ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Im Vordergrund steht jetzt, die heimische Wirtschaft grundlegend umzubauen und sich aus der Abhängigkeit vom Rohstoffhandel zu lösen. Kurzum: Diversifikation, solange der Petrodollar noch rollt.

Das beinhaltet insbesondere M&A-Transaktionen, die bevorzugt von staatseigenen Fonds oder staatsnahen Unternehmen getätigt werden. Nach Angaben von Bain hat die M&A-Aktivität in der Region 2021 einen Wendepunkt erreicht. Demnach stieg die Zahl der Transaktionen mit Käufern aus dem Nahen Osten von 2020 auf 2021 um 30% auf 236 Deals. Basierend auf den Daten per Ende Oktober wurde für 2022 ein neuerlicher Zuwachs um 39% auf 329 Transaktionen vorhergesagt. Hinter 84% der Transaktionen standen Bain zufolge Staatsfonds und – meist staatsnahe – Unternehmen. 

Wertschöpfungskette verlängern

Neben dem Vordringen in neue Wirtschaftszweige wie die pharmazeutische Industrie, Medien oder erneuerbare Energien geht es den Staatsfonds auch darum, Wertschöpfungsketten zu verlängern und Partnerschaften zu vertiefen – alles zum Wohl der heimischen Wirtschaft. Zugleich werden ganze Wirtschaftszweige konsolidiert, damit die so entstandenen nationalen Champions international auf Einkaufstour gehen können, wie es in dem im Januar erschienen M&A-Report von Bain heißt. Ausdrücklich werden Local Player zu internationalem Wachstum ermutigt.

Adnoc kann in dieser Hinsicht als Paradebeispiel gesehen werden: Ende 2022 verkaufte Mubadala, der im weltweiten Ranking auf Platz 13 stehende Staatsfonds aus Abu Dhabi, seine 24,9-prozentige Beteiligung an der österreichischen OMV an den Ölkonzern. Zuvor hatte Mubadala bereits die Sperrminorität am österreichischen Polyolefinhersteller Borealis an Adnoc weitergereicht. Die restlichen Borealis-Anteile hält OMV. Wie es der Zufall will, ist Borealis ein wichtiger Lieferant und Kooperationspartner von Covestro beim Thema alternative Rohstoffe.

Natürlich geht es den arabischen Investoren stets um Technologietransfer, gilt es doch, in der Heimat Arbeitsplätze zu schaffen und (Wachstums-)Unternehmen anzusiedeln. Der scheinbar ungezügelte Investitionsappetit eröffnet aber auch Unternehmen und Finanzinvestoren aus der westlichen Welt so manche Opportunität, wenn es beispielsweise darum geht, Geschäfte loszuschlagen, die nicht länger als Kerngeschäft angesehen werden. So hatte der Finanzinvestor Advent 2013 den Oxo-Chemikalienhersteller Oxea aus Oberhausen an die Oman Oil Company, ein Staatsunternehmen aus dem Sultanat, verkauft. Die Omanis bauen Oxea zur integrierten Chemieplattform aus, umgekehrt hat Oxea mit den neuen Eigentümern die Rohstoffseite abgesichert.

Lanxess hat es vorgemacht

Ähnlich ging Lanxess 2016 vor. In einem ersten Schritt brachten die Kölner das Kautschukgeschäft in Arlanxeo, ein Gemeinschaftsunternehmen mit Saudi Aramco, ein. Zwei Jahre später schnappte sich der weltgrößte Ölkonzern aus Saudi-Arabien die restlichen 50%. Auch hier entstand eine Win-win-Situation, denn was für die Deutschen im ersten Schritt Rückwärtsintegration bedeutete, war für Saudi Aramco Vorwärtsintegration.

Auch der staatliche Investitionsfonds PIF (Public Investment Fund) aus Saudi-Arabien ist rege an der vertikalen Integration der heimischen Wirtschaft beteiligt. So verkaufte der Staatsfonds seine 70%-Beteiligung am Chemieriesen Sabic 2019 an Aramco. Sabic wiederum ist an der Schweizer Clariant beteiligt.

Die Chemieindustrie drängt sich als natürliche Verlängerung der Wertschöpfungskette für die erdölreichen Länder geradezu auf, denn Erdöl und seine Derivate werden nach Einschätzung von Chemieexperten für die Kunststoffindustrie dauerhaft ein wichtiger Inputfaktor bleiben. Die Tage von Erdöl als Energieträger dürften dagegen gezählt sein. Daher ist auch wenig verwunderlich, dass sich die erdölreichen Länder am Persischen Golf verstärkt dem Thema erneuerbare Energien und Wasserstoff zuwenden. Die klimatischen Bedingungen vor Ort, Stichwort: Solarenergie, bieten Potenzial.

Nicht ohne Grund und wohl auch zur Freude der Emittentin hat sich der saudische Staatsfonds PIF kürzlich in die Pflicht nehmen lassen, beim IPO der Wasserstofftochter von Thyssenkrupp eine Beteiligung von 6% zu zeichnen. Nucera spielt für das saudische Megacity-Projekt Neom eine wichtige Rolle, soll die am Roten Meer entstehende Stadt doch komplett mit grünem Strom und Wasserstoff versorgt werden. Den Auftrag von Air Products zum Bau der Elektrolyseanlage hatten sich die Deutschen Ende 2021 geangelt.

Doch auch beim Mutterkonzern Thyssenkrupp sollen bereits Araber angeklopft haben: Kolportiert wird, dass Emirates Steel Arkan, der staatlich kontrollierte Stahlkonzern aus Abu Dhabi, Interesse am Einstieg in die Stahlsparte der Deutschen bekundet hat. Katar hingegen lässt seine Engagements im Westen in erster Linie über den Staatsfonds Qatar Investment Authority (QIA) laufen. Zuletzt zeichnete der Fonds die Kapitalerhöhung von RWE und hält jetzt 9% an dem deutschen Versorger, der seine Zukunft in den erneuerbaren Energien sieht.