Im BlickfeldItaliens Autoindustrie

Düstere Perspektiven im Land von Fiat und Ferrari

Italiens Autoindustrie fährt seit Jahren bergab. Und die Perspektiven sind nicht gerade rosig, die Produktion wandert vermehrt ins Ausland.

Düstere Perspektiven im Land von Fiat und Ferrari

Es war ein trauriger Jahresausklang für die letzten Mitarbeiter des Stellantis-Werks „Avv. Giovanni Agnelli Assembly Plant“ in Turin-Grugliasco. Ende Dezember schlossen sich die Türen der ehemaligen Bertone-Fabrik, die der frühere Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne 2009 erworben hatte, um hier die Luxusautoproduktion von Maserati zu konzentrieren, für immer. Die letzten 40 der einst 2.000 Mitarbeiter, die noch 2017 über 55.000 Autos gefertigt hatten, arbeiten nun in Fiat Mirafiori. 2023 sind in Grugliasco gerade noch etwas mehr als 8.000 Fahrzeuge vom Band gelaufen.

Italiens Autoindustrie

Düstere Perspektiven für Italiens Autoindustrie

Anhaltender Beschäftigungsabbau – Neue Modelle werden anderswo produziert

Von Gerhard Bläske, Mailand

Sollte sich nicht noch ein Nachmieter finden, wird es dem Werk bald ergehen wie den vielen ehemaligen Industrieanlagen in Turin und Umgebung, die heute vor sich hinrosten. Zeugen des Verfalls und Niedergangs der Autobranche, die in Turin einst viele Hunderttausend Autos pro Jahr fertigte und die Alpenstadt zu einem der weltweiten Zentren der Branche machte. Noch 2008 liefen in Turin 218.000 Pkw vom Band. Im vergangenen Jahr waren es knapp 85.000 – mit abnehmender Tendenz.

Stellenabbau

Die Autoproduktion (nur Pkw) in ganz Italien dürfte 2023 zwar gegenüber 2022, als sie 473.000 Einheiten erreichte, um etwa 20% gestiegen sein. Doch die grundsätzliche Tendenz ist negativ. Der französisch dominierte Autokonzern Stellantis, zu dem die Marken Fiat, Alfa Romeo, Maserati und Lancia gehören, will 15.000 der noch verbliebenen 45.000 Stellen in Italien sozialverträglich abbauen. Dabei wurde die Mitarbeiterzahl seit der Übernahme der früheren Fiat Chrysler (FCA) durch PSA Peugeot Citroën Opel Ende 2021 bereits um 7.500 reduziert.

Die italienische Regierung versucht gegenzusteuern. Gerade sind neue Anreize für den Kauf schadstoffarmer oder lokal schadstofffreier Fahrzeuge in Kraft getreten. Je nach Einkommenshöhe und auch in Abhängigkeit davon, ob ein Altauto verschrottet wird, können Käufer Prämien von bis zu 13.750 Euro erhalten. Doch obwohl das Durchschnittsalter des Fahrzeugbestands mit 12,6 Jahren sehr hoch ist und 11 Millionen der mehr als 40 Millionen Autos im Land nicht einmal die Euro-4-Abgasnorm erfüllen, erwarten Experten keinen Kaufboom. Zwar ist der Fahrzeugabsatz 2023 gegenüber dem Vorjahr um 19% auf 1,57 Millionen gestiegen. Doch das sind noch immer fast 20% weniger als 2019, und das Wirtschaftsinstitut Centro Studi Promotor erwartet bis 2027 keine grundsätzliche Erholung.

Kaufanreize

Mit den neuen Boni versucht Rom nicht zuletzt, auch Stellantis-Chef Carlos Tavares entgegenzukommen. Industrieminister Adolfo Urso strebte eigentlich schon für den vergangenen Sommer ein Abkommen an, das in einigen Jahren eine Verdoppelung der italienischen Pkw-Produktion auf mehr als eine Million Einheiten und Forschungsaktivitäten im Land vorsieht. Doch die Verhandlungen kommen nicht voran. Ein nächstes Treffen ist für den 1. Februar geplant. Tavares fordert als Gegenleistung, dass die Einführung verschärfter Euro-7-Abgasregeln, die eine Produktion in Italien zu wettbewerbsfähigen Preisen verhinderten, verschoben wird. Dazu will er Kaufanreize für Elektroautos und den Ausbau des italienischen Ladenetzes. In Italien werden prozentual weniger Elektroautos verkauft als in anderen Ländern. Der Anteil reiner Elektroautos am Fahrzeugabsatz lag 2023 bei gerade mal 4,2%.

Die aktuelle Ausweitung der Kaufanreize könnte ein erster Schritt sein, aber es ist fraglich, ob Tavares damit zufrieden ist. Zuletzt gab es eher Hiobsbotschaften für Italien. Denn nicht nur Grugliasco wurde geschlossen. Wie ein Schock wirkte auch die Entscheidung der Stellantis-Führung, den neuen Elektro-Fiat Panda, der im Juli vorgestellt werden soll, in Serbien zu produzieren. Die aktuelle Version soll bis 2026 in Pomigliano bei Neapel vom Band laufen. Der neue Fiat 600e wird in Polen gebaut, der neue Fiat Topolino in Marokko. Die positive Nachricht, dass Alfa Romeo wieder schwarze Zahlen schreibt und im Frühjahr mit dem neuen B-SUV Milano das erste vollelektrische Modell präsentiert, wird stark durch die Entscheidung getrübt, dass das Auto in Polen gefertigt wird. Der neue Lancia Ypsilon soll aus Spanien kommen.

Kalte Dusche

Und eine kalte Dusche war die Stellantis-Entscheidung, dass der neue Elektro-Maserati Quattroporte, der in diesem Jahr kommen sollte, auf unbestimmte Zeit verschoben wird. Zulieferer wurden aufgefordert, ihre Entwicklungsarbeiten einzustellen. Auch dass der betagte Fiat 500, der nach bisherigen Plänen 2027 durch ein neues Modell ersetzt werden sollte, länger laufen soll, ist aus italienischer Sicht keine gute Nachricht. Dazu kommt der geplante Verkauf der Stellantis-Automatisierungstochter Comau. Das alles stimmt nicht gerade zuversichtlich. Denn der Branchenverband Anfia befürchtet ohnehin schon, dass durch die Elektrifizierung weitere 60.000 der nur noch 272.000 Jobs in der Branche verloren gehen. Dabei will Premierministerin Giorgia Meloni der Branche, die mit einem Umsatz von 100 Mrd. Euro 5,6% zum Bruttoinlandsprodukt Italiens beisteuert, mit insgesamt 6 Mrd. Euro unter die Arme greifen – in Form von Hilfen, die überwiegend aus europäischen Töpfen kommen sollen. Aber auch in Form von Anreizen wie den jetzt in Kraft getretenen Maßnahmen. Wie soll aber die Produktion wieder wachsen, wenn mit Ausnahme des Fiat 500e alle Schlüsselmodelle nicht mehr in Italien produziert werden? Der Branchenverband Anfia und Industrievertreter beklagen das Fehlen industriepolitischer Vorstellungen seitens der Regierung.

Stellantis will eine Batteriefabrik in Süditalien bauen, doch in trockenen Tüchern ist auch dieses Projekt nicht – im Gegensatz zur Umwandlung des Standorts Turin zu einem Green Campus mit 10.000 Beschäftigten. So ist die Stimmung in der Branche, die einst gleichauf mit Deutschland um die Führungsposition in Europa kämpfte, mies.

Italien „kann“ Luxus

Immerhin gab es zuletzt eine positive Nachricht. Das italo-amerikanische Elektro-Start-up Aehra hat angekündigt, 540 Mill. Euro zu investieren, um bis 2026 ein Werk für die Fertigung von 800 PS starken Luxusfahrzeugen in den Abruzzen aufzubauen. Dass Italien Luxus auch im Automobilbereich durchaus „kann“ zeigt der anhaltende Erfolg von Lamborghini und Ferrari, die Rekordrenditen einfahren.

Aus! Ende Dezember hat das Maserati-Werk in Turin-Grugliasco für immer seine Pforten geschlossen. Fiat hatte es einst von Bertone erworben, um hier ausschließlich Luxusautos zu bauen.

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