Ende einer Corona-Legende
Was wurden die Japaner nicht dafür gelobt, wie sie mit diszipliniertem Maskentragen das Coronavirus in die Schranken gewiesen haben! Was haben ausländische Virusexperten die japanischen Gesundheitsämter nicht dafür gepriesen, wie sie Cluster aufspürten, Kontakte nachverfolgten und Verdachtsfälle in Quarantäne steckten! Daher gab es nur wenige Infizierte und noch weniger Sterbefälle. Ein Lockdown war nicht nötig, die Wirtschaft wurde kaum eingeschränkt. Damit avancierte Japan bei der Bekämpfung der Pandemie zum Vorbild.
Doch das ist nun vorbei: Am Dienstag hat Regierungschef Yoshihide Suga den Notstand für die Metropolregionen um einen weiteren Monat bis zum 7. März verlängert. Die Zahl der Neuinfektionen sei zwar zurückgegangen, nachdem Bars und Restaurants seit fast vier Wochen um 20 Uhr schließen müssen, erklärte Suga, aber das Gesundheitswesen stehe weiter „unter Druck“. Gemeint ist: In den vergangenen Wochen sind Dutzende Japaner zu Hause an Covid-19 gestorben, weil es für sie kein Klinikbett und keinen Arzt gab.
Im Vergleich zu westlichen Ländern sieht Japans Coronabilanz von knapp 6000 Toten und rund 400000 Infizierten recht gut aus. Aber in Asien steht Japan inzwischen am unteren Ende der Rangliste. Was ist schiefgelaufen? Im Wesentlichen hat die Regierung in Tokio – erst unter Shinzo Abe und ab September dann unter Suga – das Virus stark unterschätzt. Nach dem glimpflichen Ausgang der ersten Welle im Frühjahr 2020 konzentrierten sich Politik und Verwaltung auf die Wirtschaft statt auf die Pandemie. Für umgerechnet 12 Mrd. Euro erhielten die Bürger Kupons für Essen im Restaurant und Subventionen für Ausflüge und Urlaube im Inland. Doch ab November sorgten genau diese staatlich geförderten Aktivitäten für mehr Ansteckungen. Trotz alledem stoppte Suga die Beihilfen aber erst im Dezember.
Wie im Rest der Welt stieg in diesem Winter auch in Japan die Zahl der Infektionen beinahe täglich auf Rekordwerte. Daher reichte Maskentragen allein nicht mehr aus. Denn die in Japan hochgehaltenen Regeln, enge Räume und nahe Begegnungen zu vermeiden, ließen sich im kalten Winter schwerer einhalten. Deswegen beschloss die Regierung eine Sperrzeit von 19 Uhr für Alkoholausschank und von 20 Uhr für Bar- und Restaurantbesuche. Aber die massive Infektionswelle überforderte die Gesundheitsämter, die seit Jahren mit weniger Geld und Personal auskommen müssen – sie untersuchten Infektionscluster nicht mehr. Noch schlimmer: Trotz der im internationalen Vergleich geringen Zahl an Patienten waren die Krankenhäuser bald überfüllt. Hier trat das schwerwiegendste Versäumnis der Behörden zutage, denn die Probleme dieses Sektors sind schon lange bekannt.
Auf dem Papier scheint Japan ein Land mit einem hervorragenden Gesundheitswesen zu sein: Nirgendwo gibt es mehr Klinikbetten und radiologische Untersuchungsgeräte je Einwohner. Aber die Statistik führt in die Irre. In vielen Betten liegen demente Senioren, weil die Altersheime sie nicht betreuen dürfen. Nur 1% des Bestandes sind Intensivbetten, je Einwohner gerechnet fast dreimal weniger als in Deutschland. Außerdem mangelt es den großen Krankenhäusern aus Kostengründen an Ärzten und Pflegern.
Bürokratische Vorschriften erhöhen die Belastung: Genesene Covid-Kranke müssen zwei Negativtests vor der Entlassung vorweisen und blockieren bis dahin ihr Bett für den nächsten Schwerkranken. Aus dieser Lage zog das Gesundheitsministerium die absurde Konsequenz, die Kapazität für Coronatests nur zur Hälfte auszuschöpfen – weniger offiziell Infizierte bedeutet weniger Stress für die Klinken. Deswegen starben nicht wenige Erkrankte beim vergeblichen Warten auf einen Test und ein Bett in den eigenen vier Wänden.
Das nächste Desaster steht bei den Impfungen bevor: Der Startschuss soll erst Mitte Februar fallen, weil Japan zunächst klinisch prüft, ob Japaner das Mittel vertragen. Bisher ist noch kein Vakzin zugelassen. Aber für Verzögerungen hat der zuständige Minister schon einen Schuldigen ausgemacht: Die EU-Exportkontrollen für Vakzine brächten seinen Impfplan durcheinander, klagte Taro Kono.