Moskau

Erinnerungen an Ronald Reagan

Im 21. Jahr von Wladimir Putins Amtszeit weiß weder Russland noch der Rest der Welt, wie sehr er als Politiker in einem wirklichen politischen Wettbewerb reüssieren würde. Wettbewerb ist überhaupt so seine Sache nicht, andernfalls hätte er...

Erinnerungen an Ronald Reagan

Im 21. Jahr von Wladimir Putins Amtszeit weiß weder Russland noch der Rest der Welt, wie sehr er als Politiker in einem wirklichen politischen Wettbewerb reüssieren würde. Wettbewerb ist überhaupt so seine Sache nicht, andernfalls hätte er beispielsweise die staatliche Einmischung in die Wirtschaft nicht so vehement vorangetrieben und wäre von ihrem Funktionieren nicht derart überzeugt, wie er es eben ist. Diejenigen Privatunternehmer, die sich in einer Marktwirtschaft dem Wettbewerb stellen, hält er für etwas verdächtig und nannte sie schon mal „Gauner“. Im Übrigen eine von Russlands Tragödien, dass man zu keinem guten Bild von Unternehmertum kommt, weil diejenigen Oligarchen der 1990er Jahre, die im damaligen Raubritterkapitalismus tatsächlich nicht immer das beste Bild abgegeben haben, und die auf sie folgenden Hardliner aus Militär und Geheimdienst, die überall nur Gefahren sehen und von bewegungsloser Stabilität träumen, einander unversöhnlich gegenüberstehen und weder eine gemeinsame Aufarbeitung der Geschichte noch eine gemeinsame Sprache suchen. Wie man Russlands Weg und das Leben zu sehen habe, geben Putin und seine Hardliner vor, die von Beginn ihrer Machtübernahme an die Stärkeren waren und die starken Oligarchen von vorher in die Schranken gewiesen haben.

Wie sehr Putin den Wettbewerb scheut und einen Test seiner politischen Qualitäten verunmöglicht, zeigt sich schon darin, dass er sich nie einer Fernsehdebatte mit Oppositionspolitikern stellte. Warum wir uns genau jetzt wieder einmal daran erinnern? Weil Putin vergangene Woche seinem US-amerikanischen Amtskollegen Joe Biden eine Live-Debatte vorgeschlagen hat. Er lade Biden ein, „unsere Diskussion fortzusetzen, aber unter der Bedingung, dass wir dies live tun oder, wie man es auch nennt, ‚online‘“, sagte Putin im Fernsehen.

Der Einladung ging ein offener verbaler Schlagabtausch über die Medien voraus, nachdem Biden den russischen Präsidenten in einem Interview indirekt als „Mörder“ bezeichnet hatte. Putin entgegnete, man solle nicht von sich auf andere schließen. Biden wiederum hatte ihm mit Konsequenzen für eine angebliche Einmischung Russlands in die US-Wahl gedroht. Und Putin hat dem 78-jährigen Biden daraufhin „gute Gesundheit, ohne jede Ironie“ gewünscht.

Eine Normalisierung der Beziehungen kann man sich damit fürs Erste abschminken. Schlecht waren sie schon vorher. Nun ist halt keine Aussicht auf Besserung mehr da. Was voraussichtlich folgen wird, ist ein Pragmatismus unter verschärften Bedingungen im Umgang miteinander. Wo man einander international unbedingt braucht, wird man Lösungen suchen und vermutlich finden. Im Übrigen heißt es: Distanz halten und verbal attackieren. Gerade Letzteres scheint ja ganz nach Putins Geschmack und seiner Lust am zynischen Witz zu sein. Auf dieser Ebene kann er eine Augenhöhe demonstrieren, die ihm auf anderen Ebenen nicht leicht gelingen würde.

In Online-Foren amerikafeindlicher Linker in Westeuropa wird aufgrund dieser Eskalation inzwischen schon der Ruf laut, Biden wenigstens den Atomkoffer abzunehmen, weil der 78-Jährige wohl nicht mehr zurechnungsfähig sei. Na ja, dazu fällt eine Anekdote über Zurechnungsfähigkeit und Alter ein, die sich 1988 in Moskau zugetragen hat und von der der renommierte russische Schriftsteller Viktor Jerofejew just am Tag von Bidens Inauguration Ende Januar dem russischen Radiosender „Echo Moskwy“ berichtet hat. 1988 war US-Präsident Ronald Reagan zum vierten Gipfeltreffen mit dem sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow nach Moskau gereist. Auf einem Empfang, zu dem neben anderen herausragenden Künstlern auch Jerofejew geladen war, sei er, Jerofejew, kurz zu dritt mit Reagan und einem seiner Berater zusammengestanden, und wie aus heiterem Himmel habe Reagan gefragt: „In welchem Land bin ich?“ Jerofejew und der Berater hätten einander betroffen angesehen, „und beide verstanden wir, dass einfach die Demenz da war“. Jerofejew hat sein Erlebnis damals übrigens auch dem Leiter des Russland-Büros der „New York Times“ erzählt. Dieser habe es vorgezogen, über den Vorfall nicht zu berichten. Und so wurde er erst jetzt bekannt.