LeitartikelWeltall

Fehlgeleitete Raumfahrt-Strategien

Die Euphorie um private Investitionen ins All breitet sich zunehmend aus. Tatsächlich ist das wirtschaftliche Potenzial im Weltraum groß – es sieht aber anders aus, als Milliardäre wie Richard Branson sich dies vorstellen.

Fehlgeleitete Raumfahrt-Strategien

All-Tourismus

Fehlgeleiteter Weltraum-Traum

Von Alex Wehnert

Weltraum-Unternehmen sollten sich auf wesentlich vielversprechendere Erlösquellen abseits des Tourismus konzentrieren.

Der erste kommerzielle Flug von Virgin Galactic in den Suborbit befeuert die Euphorie um private Investitionen im Weltraum – doch sieht das wirtschaftliche und finanzielle Potenzial im All anders aus, als Milliardäre wie Richard Branson es sich vorstellen. Der Fokus des Virgin-Gründers und die Aufmerksamkeit der Finanzmarktöffentlichkeit liegt derzeit auf den Chancen im Space-Tourismus. Passend dazu machen zahlreiche Studien zum Marktpotenzial von Abenteuerreisen die Runde. Der Analysedienst Grand View Research erwartet, dass die Erlöse im Segment, dem auch Trips in die Tiefsee oder auf den Mount Everest zugerechnet werden, bis 2030 auf über 1 Bill. Dollar wachsen werden. Der Weltraumtourismus-Markt an sich dürfte laut Investmentbanken im gleichen Zeitraum ein Volumen von 12,7 Mrd. Dollar erreichen, was ein durchschnittliches jährliches Wachstum von über 36% voraussetzen würde.

Bransons börsennotierte Virgin Galactic konkurriert im privaten Space Race mit der von Amazon-Gründer Jeff Bezos ins Leben gerufenen Blue Origin, beiden in der Entwicklung voraus ist Elon Musks SpaceX. Doch die Träume der Milliardäre vom Siegeszug der All-Reisen sind trotz aller Studien zu vermeintlichen Wachstumspotenzialen fehlgeleitet. Nicht nur, dass der Explorationsdrang von Branson, Bezos und Musk gewaltige Mengen an Treibstoff verbraucht, Massen an Rußpartikeln freisetzt und superreiche Kunden in Bereiche führt, in denen der Mensch eigentlich nichts verloren hat – was den Weltraumtourismus unvereinbar mit modernen gesellschaftlichen Vorstellungen von Nachhaltigkeit macht. Das Geschäft mit Reisen ins All dürfte auch kaum skalierbar sein. Branson bietet mit Virgin Galactic lediglich Suborbital-Flüge an, die Tickets dafür kosten aber bereits 450.000 Dollar und sind damit nur für eine kleine Gruppe von sehr vermögenden Kunden erschwinglich.

SpaceX, die mit der US-Weltraumbehörde Nasa kooperiert, kann mit der Rakete „Falcon 9“ und der „Dragon“-Raumkapsel bereits Menschen in den Orbit bringen, die Kosten für einen Start belaufen sich aber auf 67 Mill. Dollar. Selbst wenn es Musk gelingt, die Kosten für einen Flug in mehr als 100 Kilometern über Meereshöhe durch eine kommerzielle Einführung der Großrakete „Starship“ auf unter 10 Mill. Dollar zu drücken, ist an eine breite Nachfrage nicht zu denken. Zugleich gilt: Je öfter die Unternehmen ins All starten, desto eher dürfte das Interesse an ihren Angeboten abnehmen. Denn für das superreiche Publikum ist die Exklusivität der Weltraumreisen und die damit verbundene Möglichkeit, sich öffentlich und im eigenen Bekanntenkreis als Entdecker und Pioniere zu inszenieren, attraktiv. Ist dagegen schon jeder dahergelaufene Millionär im All gewesen, verlieren die dunklen Weiten schnell ihren Reiz.

Vielmehr sollten sich Weltraum-Unternehmen auf Erlösquellen abseits des Tourismus konzentrieren. Bei SpaceX ist der Haupttreiber der Wertschöpfung schon heute nicht etwa das Geschäft mit Weltraumreisen, sondern die Satellitensparte Starlink. Mehr als die Hälfte der 61 Missionen im vergangenen Jahr nutzte das Unternehmen, um Starlink-Satelliten ins All zu befördern. Diese standen auch bei Investoren im Fokus, die jüngst Mitarbeiteraktien von SpaceX erwarben. Dabei kam das Unternehmen auf eine Bewertung von 150 Mrd. Dollar – im Vergleich zur vorherigen Tender Offer im vergangenen Dezember bedeutete dies eine Steigerung um 10 Mrd. Dollar. Der Ausbau privater Satellitennetze birgt zwar ebenfalls Klimaschutzprobleme, angesichts der hohen Nachfrage nach Hochgeschwindigkeits-Breitbandverbindungen rund um den Globus aber auch hohe Erlöschancen.

Zugleich besteht für die Entwicklung in der Gesundheits- und Technologiebranche im Weltall großes Potenzial, wie die Forschung auf der Internationalen Raumstation ISS zeigt. In der Schwerelosigkeit lassen sich kristalline Strukturen eingehender untersuchen und die fortschrittlichen Halbleiter einfacher herstellen als auf der Erde. Auch die Züchtung von Organen für Transplantationen könnte laut Analysten im Weltraum möglich werden. All dies dürfte weitaus höheren wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mehrwert bieten als Abenteuerreisen für Superreiche.

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