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Ferragosto-Agonie in Italien

An Ferragosto (Mariä Himmelfahrt) geht in Italien fast nichts. Viele Städte wirken regelrecht verwaist. Viele Italiener müssen angesichts der Teuerung zu Hause bleiben oder sie weichen nach Albanien aus.

Ferragosto-Agonie in Italien

Notiert in Mailand

Ferragosto-Agonie in Italien

Von Gerhard Bläske

An Mariä Himmelfahrt geht in Italien fast nichts mehr. Ferragosto heißt Agonie. „Chiuso per ferie“ steht an Geschäften, Büros, Werkstätten und vielen Restaurants. Alles zu. Die zweite Hitzewelle dieses Sommers mit Temperaturen von über 35 Grad hat viele Italiener an die überfüllten und nicht minder heißen Strände getrieben. Das war schon immer so. Es sind hauptsächlich ausländische Touristen, die sich jetzt durch Rom, Venedig oder Florenz quälen.

Aber während früher viele Italiener den ganzen August am Meer oder im Haus der Großeltern auf dem Land verbrachten, sind es inzwischen nur noch die beiden zentralen Augustwochen, in denen das Leben stillsteht. Nur die riesige Flüchtlingswelle über das Mittelmeer macht auch an Ferragosto keine Pause. Die Zahl der Ankünfte hat sich gegenüber Vorjahr verdoppelt, was die Opposition ausschlachtet: Schließlich hatte Premierministerin Giorgia Meloni letztes Jahr im Wahlkampf versprochen, die Zahl der Ankünfte zu reduzieren.

Überhaupt Meloni: Mit der Einführung einer Sondersteuer für „Übergewinne“ der Banken hatte sie unmittelbar vor der Sommerpause Freund und Feind überrascht. Sie habe das so entschieden, und zwar ohne die Koalitionspartner vorher zu informieren, sagte sie in einem Interview. Das sorgte für eine Krise in der Regierung und erinnert an die Basta-Politik von Ex-Kanzler Gerhard Schröder.

Meloni weilt mit Tochter und Lebensgefährte für ein paar Tage auf einem zu einem Resort umgebauten Bauerngut in Apulien. Für Aufsehen sorgte, dass sie mit der Touristen-Fähre von Brindisi ins wenige Kilometer entfernte Albanien fuhr, wo sie sich mit Regierungschef Edi Rama traf. Italienische Urlauber überrennen Albanien, von wo 1991 eine Flüchtlingswelle nach Italien schwappte, in diesem Jahr geradezu. Denn dort zahle man nur 30 Euro pro Nacht für ein Zimmer, berichten Touristen italienischen Tageszeitungen.

Im sardischen Porto Cervo werden dagegen 60 Euro für zwei Kaffee und zwei Mineralwasser fällig. Für Schlagzeilen sorgte ein Barbesitzer, der für das Aufschneiden eines Toasts in zwei Hälften 2 Euro extra verlangte. Gar nicht zu reden von den Kosten für zwei Liegestühle mit Sonnenschirm im Strandbad. Da werden Mitte August etwa am Lido von Venedig bis zu mehrere 100 Euro fällig – pro Tag.

Für Normalverdiener ist das unerschwinglich. Und so ist der Tourismussaison, die so gut begann, ein wenig die Luft ausgegangen. Nach einer Untersuchung des Hotelierverbands Federalberghi bleiben 41% der Italiener in diesem Jahr daheim. Die Reallöhne in Italien sind deutlich niedriger als vor 20 Jahren. Meloni hat gerade betont, dass sie gegen die Einführung eines Mindestlohns von 9 Euro pro Stunde ist.

Vor allem in der Landwirtschaft wird schlecht bezahlt. Saisonarbeiter, darunter sind auch viele Flüchtlinge, erhalten oft nur 2 oder 3 Euro in der Stunde. Sie stehen auch bei 40 Grad Hitze auf den Feldern und ernten Obst und Gemüse. Immer wieder kommt es zu Todesfällen. Die Regierung hat nun ein Dekret verabschiedet, das bei Temperaturen von mehr als 35 Grad auch stundenweise Kurzarbeit erlaubt. Die zunächst bis Ende 2023 geltende Maßnahme soll dauerhaft eingeführt werden. Arbeitgeber sollen sicherstellen, dass die Beschäftigten nicht in der direkten Sonne arbeiten, wenn es besonders heiß ist, ausreichend Getränke haben und ihre Pause im Schatten verbringen können. Die Maßnahme gilt auch für die Baubranche – aber nur für festangestellte Arbeitskräfte, nicht für die vielen Saisonarbeiter.

Nach einer jüngst veröffentlichten Untersuchung der Banca d’Italia drückt die Temperaturerwärmung das Bruttoinlandsprodukt. Der Anstieg um 2 Grad seit Beginn des 20. Jahrhunderts habe das Wachstum bereits belastet. Sollten die Temperaturen um weitere 1,5 Grad steigen, werde das Bruttoinlandsprodukt bis 2100 um bis zu 9,5% oder jährlich um 0,04 bis 0,13 Prozentpunkte gedrückt. Die Produktivität habe bereits seit dem Ende des 20. Jahrhunderts gelitten.

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