LEITARTIKEL

Geduldsprobe

Als Larry Culp, der neue CEO von General Electric (GE), Ende Februar den Verkauf der hauseigenen Biopharma-Sparte für gut 21 Mrd. Dollar an seinen früheren Arbeitgeber Danaher vermeldete, sah es fast so aus, als könnte der US-Industrieausrüster nach...

Geduldsprobe

Als Larry Culp, der neue CEO von General Electric (GE), Ende Februar den Verkauf der hauseigenen Biopharma-Sparte für gut 21 Mrd. Dollar an seinen früheren Arbeitgeber Danaher vermeldete, sah es fast so aus, als könnte der US-Industrieausrüster nach Jahren des Niedergangs schneller als erwartet wieder zu neuen Kräften kommen. Die Aktie legte in den ersten zwei Monaten des neuen Turnus immerhin mehr als zwei Fünftel zu und notierte im Vergleich zu dem Mitte Dezember erreichten Tief um fast zwei Drittel fester, nachdem Culp den Deal verkündet hatte. Doch schon wenige Tage später goss der Konzernchef kaltes Wasser über die neu aufgekeimten Hoffnungen auf einen schnellen Turnaround des Traditionskonzerns.Der Mittelabfluss in dem seit Jahren darbenden Kerngeschäft mit Turbinen für die Energiegewinnung aus fossilen Energieträgern wird im laufenden Turnus wohl noch höher als die zuletzt erlittenen 2,7 Mrd. Dollar ausfallen, erklärte Culp in der vergangenen Woche auf einer Investorenkonferenz. Das wäre für Investoren noch zu verschmerzen gewesen, hätte der CEO nicht auch für das gesamte Industriegeschäft einen negativen freien Cash-flow in Aussicht gestellt, nachdem im vergangenen Jahr noch 4,5 Mrd. Dollar erzielt wurden. Die Kennziffer ist nicht nur als Gradmesser für die operative Verfassung des Unternehmens wichtig. Für Investoren knüpft sich an die freien Cash-flows unter anderem auch die Erwartung an künftige Dividenden, die GE zuletzt auf einen nur noch symbolischen Cent je Aktie gekürzt hat. Unter den derzeit prekären bilanziellen Rahmenbedingungen des Unternehmens kommt dem freien Cash-flow noch weitere Bedeutung zu.Schon im nächsten Jahr soll der Druck aus der Kraftwerksparte merklich nachlassen und auch auf Ebene des freien Cash-flow eine deutliche Verbesserung bringen, hieß es in der Präsentation von Culp in der vergangenen Woche. Was das genau bedeutet, ist allerdings offen. Eine Rückkehr zu einem positiven freien Cash-flow? Ein Rebound bis auf das 2018 erreichte Niveau von 4,5 Mrd. Dollar? Oder gar ein Sprung auf die noch 2017 vom damaligen CEO Jeffrey Immelt in Aussicht gestellten 12 Mrd. Dollar, die der langjährige Konzernchef später auf eine Prognose von 7 Mrd. Dollar stutzte, bevor er auf Druck von Investoren kurz darauf seinen Abschied nahm und an den glücklosen John Flannery übergab, der wenig später einen freien Cash-flow von 5,5 Mrd. Dollar für das Geschäftsjahr 2017 berichtete? Im vergangenen Jahr fielen die freien Mittel aus dem Industriegeschäft noch einmal um ein Fünftel schmaler aus. 2016 hatten die Industriesparten noch gut 7 Mrd. Dollar geliefert.Bevor es besser wird, muss es erst einmal schlechter werden. Mit dem zweiten Teil dieser Redewendung sind Investoren von GE bestens vertraut. In den vergangenen zwei Jahren hat der ehemals wertvollste börsennotierte Konzern 200 Mrd. Dollar seines Werts verloren und hält sich derzeit bei einer Marktkapitalisierung von 86 Mrd. Dollar. Das allein ist aber keine Garantie dafür, dass es endlich wieder aufwärtsgeht.Analysten stellen nüchtern fest, dass der Mittelabfluss 2019 trotz Zuflüssen aus dem Geschäft mit Medizintechnik, das demnächst veräußert werden soll, zustande kommen dürfte. In der Kraftwerksparte muss GE derweil ein mehr als 90 Mrd. Dollar dickes Auftragsbuch mit wenig werthaltigen Orders abarbeiten, auf die sich der Konzern im Kampf um Marktanteile eingelassen hat und die er zum Teil mit der 2015 abgeschlossenen Übernahme der französischen Alstom geerbt hat, deren Firmenwerte GE zuletzt mit Abschreibungen über mehr als 20 Mrd. Dollar zu den Akten legte. Einige dieser Aufträge und ihre bilanzielle Verarbeitung sind ebenso Inhalt von Untersuchungen der US-Börsenaufsicht und der US-Justiz wie Altlasten aus dem Versicherungsgeschäft von GE Capital, die in den nächsten Jahren den Aufbau zusätzlicher Reserven in Höhe von 15 Mrd. Dollar erfordern werden. Der anhaltende Mittelbedarf des stark geschrumpften Finanzarms ist in der Prognose für einen negativen Cash-flow der Industriesparten noch gar nicht enthalten. Allein 2019 muss die Muttergesellschaft der Finanztochter nach bisherigen Schätzungen mit rund 4 Mrd. Dollar unter die Arme greifen.—–Von Stefan ParaviciniViele Investoren wähnten GE zuletzt schon auf dem Weg der Besserung. Der Ausblick auf das neue Jahr wird zeigen, dass sie weiter viel Geduld benötigen.—–