KommentarGütesiegel

Grüne Taxonomie ist eine vertane Chance

Endlich hat die EU-Kommission zumindest die grüne Taxonomie vervollständigt. Eine große Chance hat sie damit trotzdem vertan, denn praxistauglich ist der Ansatz nicht.

Grüne Taxonomie ist eine vertane Chance

Taxonomie

Brüsseler
Gurke

Von Anna Sleegers

Endlich ist es so weit: Die EU-Kommission hat die grüne Taxonomie vervollständigt. Jetzt müssen nur noch die (ungleich schwerer zu erstellenden) Vorgaben für die Buchstaben S und G wie „Social“ und „Governance“ durchdekliniert werden, und schon wird die Europäische Union zum Mekka der verantwortungsbewussten Geldanlage. Umwelt, Gesellschaft und Arbeitnehmer werden es Brüssel danken, dass sie den Weg für die Zigmilliarden geebnet haben werden, deren Eigentümern es nicht egal ist, was mit ihrem Geld passiert.

Wenn es so einfach wäre! Die Wirklichkeit stellt sich leider komplexer dar. Grundsätzlich ist der Ansatz, Gütesiegel für die verantwortungsbewusste Geldanlage zu ermöglichen, indem man einheitliche Regeln für das nachhaltige Wirtschaften schafft, richtig. Der Versuch der Europäischen Union, sich damit global als Vorreiter zu etablieren, entspricht dem Selbstbild und dem Anspruch vieler Europäerinnen und Europäer, die sich gerne für die wirtschaftliche Entwicklung in anderen Teilen der Welt, den Erhalt der Artenvielfalt, den Klimaschutz und andere für die Menschheit erstrebenswerte Ziele engagieren.

Der beispiellose Versuch der Europäischen Union, mit der Taxonomie die gewaltigen Kapitalströme, die den Wohlstand und die Altersvorsorge der reichen Länder darstellen, in die entsprechenden Kanäle zu lenken, ist ein Fortschritt. Er ist allemal besser als die Praxis, im internationalen Zusammenhang den moralischen Zeigefinger gegenüber wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern zu erheben und früheren Kolonien wie Brasilien oder Indien die Verantwortung für die Rettung des vor allem von den USA und Europa kräftig angeheizten Planeten zuzuschieben.

Noch schöner wäre es, wenn der EU-Ansatz praxistauglich wäre. In der bürokratischen Akribie, mit der man einst in Brüssel bereits die Krümmung der europäischen Einheitsgurke zu normieren suchte, erhebt die Taxonomie den Anspruch, jeden grünen Parameter zu bestimmen. Das muss schiefgehen, weil weder Politiker und Beamte noch die hinzugezogenen Nichtregierungsorganisationen in der Lage sind, sich alle Einzelheiten des Wirtschaftslebens von der Landwirtschaft bis zur Halbleiterproduktion auszumalen und neu zu definieren. Besser als detailverliebte Vorgaben wäre eine prinzipienbasierte Taxonomie gewesen, die darauf abzielt, die Transformation zu fördern. Statt auf 100% grün zu insistieren, hätte man Emittenten motivieren können, das Vorher und das Nachher messbar zu machen, um es Anlegern zu ermöglichen, in den Wandel zu investieren.

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