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Höhere Zinsen in Japan sollten die Welt beunruhigen

Wenn die Notenbank in Tokio ihre Geldhähne langsam zudreht, drohen heftige Turbulenzen an vielen Anleihe- und Aktienmärkten.

Höhere Zinsen in Japan sollten die Welt beunruhigen

Höhere Zinsen in Japan sollten die Welt beunruhigen

Die Bank of Japan könnte ihre Geldhähne bald zudrehen. Dann drohen heftige Turbulenzen an vielen Anleihe- und Aktienmärkten.

Von Martin Fritz, Tokio

Stetig wuchs der „Mori JP Tower“ in Tokios Zentrum nach oben. Nun ist der Bau des mit 330 Metern höchsten Wolkenkratzers von Japan vollendet worden. Auch Japans Wirtschaft beeindruckt gerade mit einer jährlichen Wachstumsrate von 6,0%. Die mageren Jahre scheinen vorüber zu sein. Zieht man noch die ersten Anzeichen für eine Lohn-Preis-Spirale mit ins Kalkül, dann könnten bald die Totenglocken für Japans ultralockere Geldpolitik läuten. Ende Juli erlaubte die Bank of Japan unter ihrem neuen Gouverneur Kazuo Ueda erstmals, dass die Rendite von Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von zehn Jahren auf 1,0% steigen darf, auch wenn die alte Obergrenze von 0,5% verwirrenderweise ebenfalls weiter gilt. Seitdem kletterte die 10-jährige Rendite auf bis zu 0,65%.

Zinsanstieg als Damoklesschwert

Damit rückt der Zeitpunkt näher, an dem die BoJ ihre geldpolitische Lockerung mit einem negativen Leitzins und einer Kontrolle der Zinskurve nicht mehr rechtfertigen kann. In der Folge hängt ein Zinsanstieg in Japan wie ein Damoklesschwert über den Finanzmärkten. „Wenn man einen Preis kontrolliert und den Griff lockert, dann kann das herausfordernd und chaotisch werden“, warnte Jean Boivin, Chef des Blackrock Investment Institute. Einerseits könnten institutionelle und private Anleger aus Japan ihr Kapital aus dem Ausland abziehen und mit der Aussicht auf höhere Renditen wieder ohne Währungsrisiko in der Heimat anlegen. In der zehnjährigen Amtszeit von Uedas Vorgänger Haruhiko Kuroda steckten diese Investoren insgesamt 3,4 Bill. Dollar in Übersee-Wertpapiere (siehe Grafik). Außerdem dürfte ein Drehen an der Zinsschraube zahlreiche internationale Investoren treffen, die ihre Yen-Carry-Trades rückgängig machen müssten.

Andererseits müssten im Fall von höheren Zinsen der japanische Staat und seine Lokalregierungen für ihre hohe Neuverschuldung erhebliche Mehrkosten tragen. Neue Staatsanleihen (JGBs) finanzieren derzeit 31% des Staatshaushaltes. In Zahlen sind das 35,6 Bill. Yen (225 Mrd. Euro). Die Zinszahlungen machen derzeit nur 7,4% des Staatshaushaltes aus, nämlich 8,5 Bill. Yen (54 Mrd. Euro). Höhere Zinsen würden den Staat zwingen, seine Ausgaben zu verringern, etwa im sozialen Bereich. Die Bürger würden auch an anderer Stelle empfindlich getroffen: Höhere Kreditkosten drohen den Immobilienmarkt zu lähmen, weil 70% der Hypothekenkredite variabel finanziert sind.

Beide Konsequenzen von höheren Japan-Zinsen gefährden die Stabilität der globalen Finanzmärkte. Fangen wir mit den japanischen Auslandsanlagen an, deren Volumen zwei Drittel der Wirtschaftsleistung ausmacht. In der Amtszeit von Kuroda investierten japanische Anleger allein 50,1 Bill. Yen (317 Mrd. Euro) in US-Treasury-Bonds, mehr als alle anderen Ausländer. Sie kauften auch insgesamt 10% aller Staatsanleihen von Australien und den Niederlanden sowie viele Brasilien-Bonds. Ein Rückzug würde viele Bondmärkte erschüttern.

Der Lebensversicherer Dai-ichi Life, einer der größten institutionellen Investoren in Japan, bestätigte verstärkte Investitionen in JGBs. Auch internationale Anleger bereiten sich auf den „historischen Moment“ vor. Gemäß Bloomberg-Daten spekulieren ausländische Anleger mit Terminkontrakten auf Arbitrage-Gewinne, wenn JGBs durch steigende Zinsen an Wert verlieren. Unterdessen sichern japanische Banken ihre hohen JGB-Bestände mit Short-Kontrakten ab.

Zudem dürfte eine Straffung der Geldpolitik eine rasche, kräftige Aufwertung des Yen zur Folge haben. In den vergangenen Monaten kam es zu mehreren volatilen Bewegungen, zuletzt im Juli. Ein fester Yen würde viele Auslandsinvestoren zwingen, ihre Carry Trades mit der japanischen Währung möglichst rasch aufzulösen. Bei dieser beliebten Wette verschulden sich Anleger zum Niedrigzins in Yen und legen das Geld in ausländischen Assets mit einer höheren Rendite an. Auch viele ihrer Aktienkäufe in Japan in diesem Jahr haben Auslandsanleger auf diese Weise finanziert. Das heißt: Nicht nur der Yen-Anstieg selbst dürfte Japans Aktienkurse belasten, sondern auch die Notverkäufe der Carry Trader.

Ebenso bereitet ein möglicher Zinsanstieg den Finanzpolitikern in Japan einige Sorgen. Bisher ignorieren japanische und internationale Anleger die offensichtliche Tatsache, dass Japan mit seiner Schuldenquote weltweit an der Spitze liegt und trotzdem jährlich ein Drittel oder mehr des Staatshaushaltes auf Pump finanziert. Zum Ende des aktuellen Haushaltsjahres (bis 31.3.2024) sagt das Finanzministerium einen Schuldenberg von Zentral- und Lokalregierungen von 1.268 Bill. Yen (8 Bill. Euro) vorher. Das entspräche dann einer BIP-zu-Schulden-Quote von 224%. Der Internationale Währungsfonds kalkulierte im April sogar eine Quote von 258%.

"Sucht nach billigem Geld"

Dennoch beschloss die Regierung von Fumio Kishida mehrere neue Ausgabenprogramme, darunter ein Plus von 60% im Verteidigungsetat bis 2027 (+21 Mrd. Euro), mehr Kindergeld (+22,4 Mrd. Euro) und einen japanischen Klimafonds (+127 Mrd. Euro). Diese Ausgaben sind bislang nicht durch neue Einnahmen gegenfinanziert. Der Finanzmarkt ignorierte diese Pläne.

Denn bisher kann Japan seine Verschuldung selbst finanzieren – die Leistungsbilanz des größten Nettokreditgebers der Welt blieb positiv. Japanische Adressen halten fast alle Staatsschulden, allein die Bank of Japan besitzt mehr als Hälfte aller JGBs. Angesichts der demografischen Alterung könnte die Leistungsbilanz jedoch in den nächsten Jahren ins Minus drehen.

Trotz mancher Überlegungen und Vorbereitungen betrachtet der Finanzmarkt eine Zinswende in Japan jedoch bisher als Schwarzen Schwan, als ein höchst unwahrscheinliches Ereignis. Das größte Hindernis für das Ende des billigen Geldes in Japan ist nämlich laut dem Strategen Toru Sasaki von der J.P. Morgan Chase Bank eine „Art Sucht nach billigem Geld“ von Politikern, Bürgern und Anlegern in Japan. Eine schlecht getimte Normalisierung der Geldpolitik könnte daher laut Shigeto Nagai von Oxford Economics einen „Schock“ auslösen. S&P-Analyst Kim Eng Tan warnte, dabei würden „eine Menge Leichen im Keller zum Vorschein kommen“.

Auch die Notenbankführung zögert mit einer Kursänderung angesichts der Folgen für Staatsfinanzierung und Immobilienmarkt. „Die Zentralbank kann mit der Monetarisierung der Staatsschulden nicht aufhören", meint Sasaki. "Sie wird wahrscheinlich mehr Schulden kaufen, wenn es zu Problemen kommt. Ich sage das in einem pessimistischen Sinne." Das heißt: Die Versuchung für viele Entscheider in Japan ist groß, die Schuldenquote auf dem Rücken der Bürger mit Hilfe der Inflation allmählich zu verringern, statt die monetären Rahmenbedingungen zu ändern.

| Quelle:

Die mageren Jahre sind vorüber: Der Mori JP Tower ist mit 330 Metern das höchste Gebäude in Japan.

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