Siemens Gamesa

Im Blindflug

Der Windradbauer Siemens Gamesa wirkt orientierungslos. Die Mutter Siemens Energy wird immer stärker in Mitleidenschaft gezogen. So geht es nicht weiter.

Im Blindflug

Siemens Energy hat am Freitag 17% seiner Marktkapitalisierung pulverisiert. Nach einem derartigen Schock finden sich meistens Anleger, die den Kurs am darauffolgenden Handelstag wenigstens ein paar Prozentpunkte nach oben schleusen. Nicht so in diesem Fall. Die Aktie schloss den Xetra-Handel am Montag mit einem weiteren Abschlag, das Minus betrug 6%. Nun sollte man Veränderungen auf Tagesbasis nicht überbewerten. Aber einen derart katastrophalen Absturz gibt es selten. Er ist auch deswegen bemerkenswert, weil er zweierlei zeigt.

Erstens: Der Dax-40-Wert wird als Mehrheitsaktionär voll in Sippenhaft genommen für das schlechte Abschneiden der Windradbau-Tochter Siemens Gamesa. Der spanisch-deutsche Konzern, der das Börsenbeben am Freitag mit seiner dritten Prognosesenkung innerhalb von neun Monaten ausgelöst hatte, verlor erst 14% und gewann am Montag bis zum Madrider Handelsschluss 2%. Die Muttergesellschaft Siemens Energy leidet also stärker als die Beteiligung, obwohl sie auch ein Geschäft mit konventionellen Kraftwerken vorweisen kann. Diese Siemens-Energy-Sparte wird geräuschlos gemanagt und lief auch im ersten Quartal des Geschäftsjahres 2021/2022 überraschend gut. Perspektivisch wird sie einen zusätzlichen Schub erhalten, obwohl der Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung ihre Geschäftsgrundlage langfristig zerstört. Denn vorerst wird die EU-Taxonomie den Bau von Gaskraftwerken fördern. Für das schlechtere Abschneiden von Siemens Energy im Vergleich zu Gamesa trotz dieser guten Nachrichten gibt es Gründe.  Gamesa-Aktionäre können auf ein Übernahmeangebot hoffen, die Energy-Investoren dagegen müssen eine Kapitalerhöhung für diesen Gamesa-Kauf fürchten.

Der Energy-Kursrückgang auch am Montag, der stärker ausfiel als der durchschnittliche Verlust im Dax 40, lässt jedoch auch aus einem zweiten Grund aufhorchen. Der Kapitalmarkt hat das Vertrauen komplett verloren, dass Siemens Gamesa in absehbarer Zeit eine Wende im angeschlagenen Onshore-Geschäft gelingt. Die Investoren kapitulieren. Zu häufig hat das Management unter zwei verschiedenen CEOs versprochen, dass nun alles besser werde. Das Gegenteil war der Fall. Das Senken von Geschäftsjahres-Prognosen mindestens zwei Mal im Jahr ist eine unselige Tradition geworden. Die Mittelfrist-Zielsetzungen werden ebenfalls regelmäßig gekippt. Ursprünglich sollte eine bereinigte Ebit-Marge von 8 bis 10% schon 2019/2020 erreicht werden. Stattdessen türmen sich seitdem Verluste, und das Ziel verschwindet im Langfrist-Nebel. Ein Frühwarnsystem für drohende Fehlschläge scheint Siemens Gamesa nicht zu haben. Ein Drittel des Auftragsbestands im Segment Onshore – dies entspricht 2 Mrd. Euro – wird eine Marge von 0% liefern. Das ist ein Armutszeugnis. Wenn zum zweiten Mal innerhalb von drei Geschäftsjahren die Prognose schon nach drei Monaten gekippt werden muss, sind Controlling und Finanzabteilung im Blindflug. Die externe Kommunikation ist zuweilen bizarr.

Sippenhaft und Vertrauensverlust lassen für Siemens Energy nur einen Schluss zu: So geht es nicht weiter. Denn einerseits werden die Energy-Aktionäre dauerhaft und wiederholt geschädigt, andererseits ist der Durchgriff auf Siemens Gamesa beschränkt – selbst wenn Energy-Vorstand Jochen Eickholt in seiner neuen Rolle als Gamesa-Verwaltungsratsmitglied seine Sanierungserfahrungen aktiv einbringen sollte. Der richtige Zeitpunkt ist gekommen, um die sowieso haltlose strategische Positionierung zu ändern: Wenn das Unternehmen Siemens Energy im Sektor erneuerbare Energien operativ nicht handlungsfähig wird, erleidet es als Fossile-Energie-Erzeugungsspezialist das Schicksal eines Dinosauriers. Eine Übernahme von Gamesa, in welcher Form auch immer, ist daher unausweichlich. Auch der Mutterkonzern Siemens sollte ein Interesse daran haben, dass Energy endlich aus den Startlöchern kommt.

Die Probleme lösen sich freilich damit nicht auf. Der Preisdruck in der Branche ist hoch, zugleich steigen die Kosten für Rohstoffe und Logistik. Die Industrialisierung der Fertigung lässt immer noch zu wünschen übrig. Aber: Wenn die Prozesse stimmen, sind diese Schwierigkeiten im Onshore-Segment zu beherrschen. Es sollte nicht vergessen werden: Das Offshore-Geschäft läuft hervorragend, und im Service auch für landgestützte Windräder verdient Gamesa gutes Geld. Der Windenergiemarkt wird enorm wachsen, die oligopolistische Struktur ermöglicht eigentlich wenigstens auskömmliche Renditen. Siemens Gamesa hat hervorragende Chancen. Nun müssen sie realisiert werden.

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