Im BlickfeldAutoindustrie

Im deutschen Automarkt rollt die dritte Asien-Welle an

Die chinesischen Autobauer wollen den deutschen Markt erobern. Das bringt vor allem etablierte Volumenhersteller wie Volkswagen unter Zugzwang. Der Wettbewerbsdruck in der größten EU-Volkswirtschaft nimmt zu.

Im deutschen Automarkt rollt die dritte Asien-Welle an

Im deutschen Automarkt rollt die dritte Asien-Welle an

Chinesische Hersteller starten erneuten Versuch, in der größten EU-Volkswirtschaft Fuß zu fassen

Von Stefan Kroneck, München
Von Stefan Kroneck, München

Es ist schon einige Jahrzehnte her, da herrschte in der alten Bundesrepublik eine große Furcht davor, dass die deutschen Autohersteller von der aufkommenden japanischen Konkurrenz in ihrem eigenen Heimatmarkt verdrängt werden könnten. Toyota, Honda, Nissan, Mazda und Mitsubishi schickten sich in den 1970er und 1980er Jahren an, die Straßen in der größten Volkswirtschaft der EU zu erobern. In den 1990er Jahren, nach dem Fall der Mauer, folgten ihnen die Südkoreaner mit den Marken Hyundai und Kia. Anfang des neuen Jahrtausends wollten die Chinesen es ihnen nachmachen. Sie streckten erstmals ihre Fühler nach Mitteleuropa aus. Sie scheiterten damals aber kläglich. Der Hauptgrund waren Qualitätsprobleme der Produkte mit dem Siegel Made in China. In Tests des ADAC fielen die Automodelle aus dem kommunistischen Riesenreich seinerzeit reihenweise durch. 

Aus dieser Schlappe haben die Chinesen gelernt. Seit ungefähr zwei Jahren verstärken sie ihre Anstrengungen, sich im deutschen Markt zu etablieren. Nach den Japanern und den Koreanern rollt nun die dritte Asiaten-Welle im deutschen Automarkt an. Die Statistiken der Zulassungsbehörde in Flensburg lassen aufhorchen. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) registriert seit Anfang 2022 wachsende Aktivitäten aus Fernost. Trotz beachtlicher Anfangserfolge stecken die Adressen aus China allerdings in Deutschland faktisch noch in den Startlöchern. Denn mit einem Marktanteil von 0,8% stehen sie auf Platz 11, wenn man die Pkw-Neuzulassungen in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres in Betracht zieht. Bei einem relativ kleinen Stückzahlenniveau schaffen sie die höchste Zuwachsrate. Von Januar bis April registrierte das KBA 6.870 neu zugelassene Fahrzeuge chinesischer Provenienz. Das entsprach einem Plus von 106%. Zum Vergleich: Die deutschen Automarken Volkswagen, Audi, Mercedes-Benz, BMW und Opel sind mit einem Marktanteil von zusammen rund 60% mit weitem Abstand die Platzhirsche.

Das bedeutet, die Befürchtungen von damals, dass die deutschen Marken ins Hintertreffen geraten könnten, haben sich nicht bewahrheitet. Indes ist es allerdings den Japanern und den Südkoreanern gelungen, sich im deutschen Markt zu behaupten.

Eine Frage der Qualität

Die japanischen Hersteller vereinen fast 8% der Anteile auf sich, die Südkoreaner kommen auf bemerkenswerte 6%. Sie überzeugen die Verbraucher mit einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Diese Erfahrung lehrt, dass die Chinesen auch als sogenannte Newcomer gute Chancen haben, sich zu etablieren – vorausgesetzt, sie machen diesmal alles richtig.

Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Frage der Qualität. Nach Erkenntnissen des ADAC hat sie sich im internationalen Vergleich deutlich verbessert, die Hersteller haben aufgeholt. Die Chinesen können mit den Marken des Westens mithalten. Sie profitieren dabei von dem Know-how-Transfer ihrer Joint-Venture-Partner aus Westeuropa. So verdienen Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW ordentlich Geld über Gemeinschaftsunternehmen im größten Automarkt der Welt. Diese Industriepolitik Pekings zahlt sich nun auch für die landeseigenen Anbieter aus. Die chinesischen Hersteller machen den Adressen aus Deutschland im Reich der Mitte zunehmend Konkurrenz. Der Kampf um Marktanteile verschärft sich in China wie in anderen Weltmärkten, da die chinesischen Adressen sich anschicken, ebenfalls global zu expandieren.

Deren Vorteil ist, dass sie sich insbesondere auf den Feldern Vernetzung, autonomes Fahren und Elektromobilität Wettbewerbsvorteile erarbeitet haben. Das wollen sie nun in Deutschland ausspielen. Sie buhlen mit verhältnismäßig günstigen Preisen für Neuwagen mit Elektromotoren um Kunden. Damit liegen sie voll im Trend. Denn der Klimawandel zwingt die Branche zu einem radikalen Transformationsprozess. Die Nachfrage nach reinen E-Autos nimmt stetig zu. Nach Angaben des KBA machten in den ersten vier Monaten dieses Jahres Fahrzeuge mit reinem Elektroantrieb sowie in Kombination mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren (Hybrid-Varianten) über zwei Fünftel der Pkw-Neuzulassungen aus – Tendenz steigend.

Coup von BYD mit Sixt

Mittlerweile sind in Deutschland acht chinesische Automarken bzw. Autohersteller präsent. Das sind Aiways, MG Roewe (SAIC), Lynk & Co., Maxus (SAIC), Ora (Great Wall), Wey (Great Wall), Nio und BYD. Einen großen Vertriebscoup zum Markteinstieg landete BYD im Herbst vergangenen Jahres. Sixt, der größte deutsche Autovermieter, teilte im November mit, in den kommenden Jahren über 100.000 Elektroautos von BYD zu bestellen. Diese sind für den westeuropäischen Markt, darunter Deutschland, bestimmt. Für das SDax-Mitglied ist das ein Schritt, um die Fahrzeugflotte schnell mit E-Modellen auszustatten, um den Wandel im eigenen Hause zu beschleunigen. Für BYD zahlt sich das im Marketing aus, gelten doch Mietwagen auch als Testfahrzeuge für potenzielle Neukunden.

Die deutschen Autobauer dürften den stärker werdenden Konkurrenzdruck womöglich zweigeteilt aufnehmen. Während Hersteller im Luxus- und Premiumsegment wie Porsche, Mercedes-Benz und BMW nach außen mit einer relativen Gelassenheit reagieren, bereitet der Vorstoß aus China vor allem Volumenproduzenten wie Volkswagen und Opel Kopfzerbrechen. Auf der zurückliegenden ordentlichen Hauptversammlung von BMW antwortete Konzernchef Oliver Zipse auf die China-Frage mit dem Hinweis, dass mehr Wettbewerb generell als Ansporn betrachtet werde. Der Heimatmarkt ist für die deutschen Premiumanbieter eine Bastion. Lexus, die Luxusmarke von Toyota, schaffte zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen nie den Durchbruch.

Volkswagen unter Zugzwang

In der Tat sind die Chinesen im Massengeschäft unterwegs. Sie konzentrieren sich insbesondere auf Kleinwagen und Automobile der Kompaktklasse. Das ist ein Segment, in dem vor allem die Premiumanbieter sich zunehmend zurückziehen, weil es spürbar weniger Profit abwirft als der Verkauf von großen SUVs. Diese Ausrichtung dient ihnen vor allem dazu, den teuren Umbau in Richtung Elektromobilität zu finanzieren. Für die Chinesen ergibt sich dadurch eine Marktlücke. BYD & Co. haben die Möglichkeit, ins Geschäft mit Einsteigermodellen vorzudringen. Das heißt, die Newcomer gehen zunächst in Vorleistung mit dem Ziel, in Deutschland mit diesem Ansatz bei steigenden Stückzahlen künftig Gewinne zu erwirtschaften. Das dürfte kein leichtes Spiel sein, sind in diesem Segment die Margen doch ohnehin relativ niedrig. Denn es kämpfen bereits viele Anbieter um den großen Kuchen. Neben den Japanern und Koreanern tummeln sich die französischen und italienischen Automarken im deutschen Markt. Der Wettbewerbsdruck steigt weiter. Der Kampf um Marktanteile wird noch härter ausgetragen.

Für Volkwagen ist diese Entwicklung ein Angriff auf das eigene Geschäftsmodell. Vorstandschef Oliver Blume muss in Bezug auf China an zwei Baustellen arbeiten. Erstens versucht er, mit neuen Modellen die drohenden Marktanteilsverluste in China zu stoppen, zweitens wird er sich überlegen müssen, wie er auf das Vordringen chinesischer Anbieter im Heimatmarkt Deutschland reagiert. Eine kürzlich verordnete Rosskur der Kernmarke ist noch keine passende Antwort. Insgesamt erzeugt das Druck auf die Preise für Neu- und Gebrauchtwagen zum Vorteil der Autokäufer, die künftig eine noch größere Auswahl haben werden. In Bezug auf ihre Profitabilität hätten die etablierten Volumenhersteller dabei das Nachsehen. Deren operative Margen gerieten tendenziell unter Druck.