Im BlickfeldDeutschland hinkt bei Luftfracht hinterher

Im Kampf gegen die Abwärtsspirale

Das weltweite Luftfrachtgeschäft floriert, das Wachstum geht aber weitgehend an Deutschland vorbei. Grund sind unter anderem hohe Standortkosten.

Im Kampf gegen die Abwärtsspirale

Die Geschichte ähnelt ein bisschen der des Flughafens Hahn. Gewann der Airport aus der Eifel 1999 mithilfe niedriger Entgelte den Low-Cost-Carrier Ryanair als Kunden, so geht aktuell der belgische Flughafen Lüttich mit Günstigtarifen im Frachtgeschäft auf Kundenfang. Ryanair auf dem Hahn brachte damals die Billigfliegerei in Deutschland zum Laufen, der Flughafen Lüttich sorgt derzeit mit seinem Geschäftsgebaren mit dafür, dass das Luftfrachtgeschäft in Deutschland nicht so richtig zum Laufen kommt. „Das weltweit starke Wachstum der Luftfracht geht an Deutschland vorbei“, sagt Joachim Lang, der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Luftverkehrswirtschaft (BDL).

Der Flughafen Lüttich ist dabei nicht der alleinige Übeltäter, steht aber exemplarisch dafür, dass Flughäfen außerhalb Deutschlands vielfach für die deutsche Logistikbranche günstiger sind als die Heimat-Airports. Lüttich beispielsweise liegt in einer strukturschwachen belgischen Region, weshalb mit Unterstützung der Politik auf An- und Abfluggebühren verzichtet wird, um den Airport zu fördern. Das scheint zu funktionieren, der Standort floriert. Einer der Leidtragenden ist übrigens der Flughafen Hahn, der inzwischen zur Unternehmensgruppe von DIHK-Präsident Peter Adrian gehört. Kurz nachdem Adrian den Flughafen im Mai 2023 übernommen hatte, verlor der Hauptkunde Silkway die Genehmigung für zwei Drittel seiner Flüge, und ein anderer Interessent durfte nicht auf dem Hahn andocken. Beide Airlines sind dann Richtung Lüttich abgewandert – „Der Flughafen dort war mal deutlich kleiner als Hahn und macht heute den Umschlag im Monat, den wir in einem ganzen Jahr machen“, sagte Adrian kürzlich im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.

Deutliche Preisunterschiede

Die regionale Förderung, die der Flughafen in Belgien genießt, schlägt sich für die Kunden in Euro und Cent nieder. Beispiel Flugsicherungsgebühren: In Deutschland haben sie sich seit 2020 verdoppelt. So fallen für einen Langstrecken-Frachtflieger Boeing 777-F in Frankfurt, Leipzig/Halle, Köln/Bonn und München laut BDL knapp 1.500 Euro pro Flug an, in Paris nur 800 Euro, in Istanbul 72 Euro und in Lüttich ist die Flugsicherung gratis. Sehr viel stärker als im Passagierbereich zählten bei der Fracht nur die ökonomischen Kriterien Zeit und Geld, erklärt Pierre Dominique Prümm vom Vorstand des Frankfurter Flughafenbetreibers Fraport, der eine Arbeitsgruppe des BDL zu dem Thema leitet. Schon kleine Änderungen brächten große Verschiebungen bei den Warenströmen. „Jede Kiste, die heute in Frankfurt verladen wird, kann morgen verloren sein – und umgekehrt“, weiß Prümm. „Die Luftfracht wandert ins EU-Ausland ab“, beobachtet BDL-Geschäftsführer Lang und nennt neben Lüttich Luxemburg und Brüssel. Dazu kommt die Konkurrenz durch die Drehkreuze in Dubai, Doha oder Istanbul. Neben den niedrigeren Standortkosten sehen die Spediteure in einer BDL-Umfrage etwa den Rund-um-die-Uhr-Betrieb an diesen Flughäfen als Vorteil, während es z.B. am größten deutschen Frachtflughafen Frankfurt ein Nachtflugverbot gibt. „Deutsche Frachtflughäfen- und -airlines geraten im internationalen Wettbewerb massiv unter Druck, da Nachbarländer und auch Drittstaaten attraktivere Rahmenbedingungen bieten“, warnt daher Prümm. Wird das Luftfrachtgeschäft in Deutschland geschwächt, schadet das der gesamten Wirtschaft. „Die exportorientierte deutsche Wirtschaft profitiert in besonderem Maße von der engmaschigen Anbindung an ihre globalen Absatzmärkte, die den weltweiten Versand von besonders hochwertigen oder eiligen Gütern innerhalb weniger Stunden ermöglicht“, heißt es beim BDL. Die Zustellung eines dringend benötigten Ersatzteils über Nacht über Kontinente hinweg könne beispielsweise Produktionsausfälle in Millionenhöhe verhindern.

Frankfurt verliert Spitzenplatz

Frankfurt verlor im vergangenen Jahr seine Spitzenposition als größter Frachtflughafen Europas an den Airport in Istanbul – dort stieg das Transportvolumen um knapp 40%, während es in Frankfurt um 2,5% schrumpfte. In Deutschland wird in diesem Jahr dem BDL zufolge nur 1,1% Wachstum der Luftfracht erwartet, im Vergleich zu einem prognostizierten Plus von 6% weltweit. In der aktuellen Mittelfristprognose bis ins Jahr 2040 (Stand Dezember 2024) geht das Bundesverkehrsministerium von einem jährlichen Wachstum der beförderten Tonnage von 2,2% aus. Dagegen erwartet der Flugzeughersteller Boeing im gleichen Zeitraum weltweit ein jährliches Plus von 4,1%. Mit einem durchschnittlichen jährlichen Anstieg um 4,5% profitieren Frachtflüge zwischen Europa und Ostasien dabei besonders stark. Dieser Trend geht aber ganz offensichtlich an Deutschland vorbei, mahnt der Luftfahrtverband.

Die Frachttochter der Lufthansa, einst Weltmarktführer, ist zwischenzeitlich auf Rang 7 abgerutscht. Während Lufthansa Cargo nicht gewachsen ist, hat der Gesamtmarkt in den vergangenen rund 20 Jahren mehr als 80% zugelegt, damit war der Spitzenplatz dahin. Auf den vorderen Rängen tummeln sich mittlerweile Unternehmen aus dem Mittleren Osten wie Qatar Airways oder Emirates oder auch der Home-Carrier des führenden Frachtflughafens Istanbul, Turkish Airlines.

Finanziell steht Lufthansa Cargo trotz des Abrutschens im Ranking gut da. Die durchschnittliche Ebit-Marge lag zwischen 2010 und 2024 bei über 14%. Auch aktuell laufe es sehr gut. Das Ranking aus dem Auge lassen kann das Unternehmen dennoch nicht und hat nun zur Aufholjagd geblasen.

Hoffnung auf neue Flugzeuge

Lufthansa-Cargo-Vorstand Frank Bauer warnt, „es würde keine weiteren 20 Jahre dauern, um von Platz 7 auf Platz 14 abzurutschen“. Die Lufthansa-Tochter verfolge „ganz klar“ die Ambition, „mittelfristig wieder zu den Top 3 der Luftfrachtanbieter zu gehören“. Ein Hebel auf dem Weg dorthin sind neue Flugzeuge, die die Kosten deutlich senken werden. Das Problem: Bis die Maschinen ausgeliefert werden – die Rede ist von sieben Boeing-777-8-Frachtern der neuesten Generation – wird noch eine Zeit vergehen, die ersten werden voraussichtlich 2028 kommen. Teil der Unternehmensstrategie „Bold Moves“ ist zudem das Straffen betrieblicher Prozesse und ein Zurückfahren der Komplexität. Indes ändert das noch nichts an den hohen Standortkosten im Heimatmarkt, außerdem liegen „politische und weltwirtschaftliche Aspekte wie beispielsweise die aktuellen Zoll-Diskussionen (...) außerhalb unserer Kontrolle“, weiß auch Lufthansa Cargo-Manager Bauer.

Im Kampf gegen die Abwärtsspirale

Das weltweite Wachstum im Luftfrachtgeschäft geht an Deutschland vorbei – Hohe Standortkosten und scharfer Wettbewerb belasten Unternehmen

Von Lisa Schmelzer, Frankfurt
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