Credit Suisse

In der Bürokratiefalle

Die Credit Suisse verliert leicht das Wesentliche aus dem Blick. Das Greensill-Debakel zeigt, dass der Schweizer Bankkonzern zu komplex aufgestellt ist.

In der Bürokratiefalle

Bis die Greensill-Pleite die Aufstellung einer Schlussbilanz zulässt, wird noch viel Zeit vergehen. Klar ist aber jetzt schon, dass dieses Ereignis eine Zäsur für die Credit Suisse bedeutet. Die Schweizer Großbank ist auf so vielen Ebenen mit dem Schicksal des gescheiterten Liefer­ketten-Finanzierers verknüpft, dass sie geradezu gezwungen wird, ihre ganze Organisation grundsätzlich in Frage zu stellen.

Als Assetmanager leitete der Bankkonzern via eigene Supply-Chain-Fonds einen zweistelligen Milliarden-Dollar-Betrag von über 1000 Investoren an Greensill weiter, damit dieser seine spektakuläre Wachstumsstory auch mit Hilfe mutmaßlich betrügerischer Kunden weiterschreiben konnte. Der 44-jährige Gründer Lex Greensill soll auch privat zum exklusiven Kreis der ultra­reichen Vermögensverwaltungskunden des Schweizer Finanzkonzerns gehört haben. Als Investmentbank unterstützte die Credit Suisse das Unternehmen Greensill auch mit Krediten – offenbar in der Absicht, die Firma im Rahmen eines lukrativen Börsengangs später selbst auf das Parkett zu führen.

Angesichts der Verbindungen zu Greensill sei es eine kaum haltbare Schutzbehauptung der Bank, dass die Fondsinvestoren die Risiken ihrer Anlage nun selbst tragen müssten, urteilt der deutsche Corporate-Governance-Experte Christian Strenger. Der Professor der Frankfurt School of Finance fungiert als Ratgeber eines „substanziellen Investors“, der sich gerade Sorgen um seine Investitionen in die Greensill-Fonds der Schweizer Großbank machen muss. Dass sich diese eher früher als später dazu entschließen muss, ihre Investoren zu entschädigen, liegt angesichts der bislang bekannten Fakten auf der Hand.

Auf den Biss in den sauren Apfel muss die Bank aber vor allem die richtigen Lehren aus dem Debakel ziehen. Ende April zieht mit dem ehemaligen Lloyds-Bank-Chef António Horta-Osório ein neuer Präsident in den Verwaltungsrat ein. Der Manager dürfte sich schon heute die Frage stellen, ob die vor 15 Jahren eingeführte „One-Bank-Strategie“ der Credit Suisse angesichts der im Fall Greensill so offensichtlich und zahlreich aufgetretenen Interessenskollisionen ein für die Zukunft noch opportunes Modell bleiben kann. Die Großbank etablierte 2006 ihre „One-Bank-Strategie“ mit der Absicht, die Zusammenarbeit unter den Konzerndivisionen zu vertiefen, die Stückkosten zu senken und die Rentabilität zu steigern. Der damalige Bankchef Oswald Grübel erklärte den Ansatz damals so: „Mit den vier Geschäftseinheiten, wie wir sie im Bankgeschäft jetzt haben, betreiben wir ein Spezialistensystem. Dieses System ist heute zu teuer.“ 15 Jahre später muss man feststellen: Die Credit Suisse ist im Vergleich zu damals ein großes Stück kleiner und deutlich weniger profitabel geworden.

Die Kosten der Regulierung und der intensivierte Wettbewerb haben die Synergiegewinne aus dem integrierten Geschäftsmodell mehr als kompensiert. Geblieben sind offensichtlich die mit der „One-Bank-Strategie“ verbundenen Kosten der höheren organisatorischen Komplexität. Der betriebswirtschaftliche Begriff der Komplexitätskosten erklärt, weshalb manche Unternehmen ab einer bestimmten Größe immer ineffizienter und damit unrentabler werden. Im Volksmund sagt man über solche Phänomene ganz einfach: Da weiß die Linke nicht mehr, was die Rechte tut.

Diese Formulierung ist aber leider etwas zu nett. Sie unterschlägt nämlich, dass sich die Manager in manchen Großkonzernen gegenseitig auch gern einmal ein Bein stellen, um selbst rascher vorwärtszukommen. Gerade im Fall der Credit Suisse sind solche Machtspiele im Zusammenhang mit der Khan-Affäre vor Jahresfrist überdeutlich zum Vorschein gekommen. Solchen Erscheinungen sollte der ankommende Verwaltungsratspräsident ein großes Augenmerk schenken. Sie sind ein Hinweis darauf, dass es die Bank trotz der Schrumpfkur der vergangenen 15 Jahre nicht verstanden hat, auch ihre Komplexitätskosten zu verringern.

Die Bank ist gut beraten, vor einer weiteren Neuorganisation einen Kulturwandel in Angriff zu nehmen. Dazu gehören überzogene Leistungsanreize im Managementsystem ebenso wie die Qualität der Führung. Nicht nur das Management ist in den vergangenen Jahren in die Falle der Bürokratie getappt: Kleine Regelverstöße und Fehler erhalten überproportional viel Aufmerksamkeit, weil sie zahlenmäßig relativ häufig vorkommen. Dabei droht der Blick für die großen Fehlleistungen komplett verloren zu gehen. Siehe Greensill!