In der Defensive
Die Übernahme von Monsanto sollte für Bayer zum Befreiungsschlag werden. Mit dem Aufstieg zur unangefochtenen Nr. 1 in der Agrarchemie sollte einer etwaigen feindlichen Übernahme vorgebaut werden. Ein halbes Jahr nach Abschluss der größten Übernahme der Firmengeschichte finden sich die Leverkusener gleichwohl in der Defensive wieder. Das erste Glyphosat-Urteil und die mit ihm anschwellende Klagewelle haben zu einem massiven Vertrauensverlust geführt. Als zu riskant hatte Ex-Vorstandschef Marijn Dekkers den Kauf des größten Saatgutherstellers eingestuft und seinen Abschied 2016 kurzerhand um ein halbes Jahr vorgezogen – weder seinem Strategiechef und designierten Nachfolger, Werner Baumann, noch seinem Vorgänger und heutigen Aufsichtsratschef Werner Wenning wollte er im Weg stehen.Dass Dekkers` Bedenken nicht unbegründet waren, offenbarte sich im vorigen August. Gut zwei Monate nach dem Closing erging das erste Jury-Urteil in der Causa Glyphosat, in dem Monsanto und mithin Bayer zu Schadenersatz von 289 Mill. Dollar verdonnert wurde. Im Nachverfahren wurde die Zahlung zwar auf knapp 80 Mill. Dollar reduziert, das Urteil selbst, das einen Kausalzusammenhang zwischen dem Unkrautvernichter aus den Laboren von Monsanto und der Krebserkrankung des Klägers bejahte, hatte aber Bestand. Der mit dem Urteil einhergegangene Kurssturz ist nicht nur der Fallhöhe nach legendär, sondern hat sich bislang auch als nachhaltig erwiesen. Bis heute klafft zwischen der Marktkapitalisierung vor und nach dem Urteil eine Lücke von mehr als 20 Mrd. Euro.Schlimmer allerdings wiegt, dass Bayer frisches Eigenkapital zur Finanzierung der Übernahme zu – zumindest aus heutiger Sicht – weit überhöhten Kursen einwarb. Temasek, der Staatsfonds aus Singapur, investierte 3 Mrd. Euro und blätterte für die auf ihn zugeschnittene Emission mehr als 96 Euro je Aktie hin. Die Altaktionäre bekamen neue Aktien zu 81 Euro zum Bezug angeboten. Trotz der jüngsten Kursrally notiert die Aktie derzeit aber nur bei gut 72 Euro – welch ein Misstrauensvotum!Kein Wunder, wenn der Vorstand nun auf einen strikt am Shareholder Value orientierten Kurs einschwenkt, egal ob es die Bilanz hergibt oder nicht. So verteilt Bayer für 2018 nicht nur weitaus mehr Geld, als verdient wurde, an die Investoren, sondern spielt zugleich mit dem Gedanken, Aktien zurückzukaufen. Dabei ächzt die Bilanz unter der Schuldenlast.Der Leverage, also das Verhältnis der Nettoschulden zum operativen Ergebnis, belief sich zum Bilanzstichtag auf stolze 3,7. Dabei hat sich Bayer dank der kartellrechtlich erzwungenen Verkäufe von Vermögenswerten aus dem Agrargeschäft schon erheblich entschulden können. Für einen weiter reichenden Abbau der Finanzschulden müssen sich die Bonitätswächter allerdings in Geduld üben, wird sich die Nettoverschuldung im laufenden Turnus doch nicht weiter abschmelzen lassen – unabhängig davon, dass eine Reihe von Vermögenswerten zum Verkauf gestellt sind. Im Vorstand lenkt man den Blick allerdings lieber auf den Cash-flow, der künftig zur zentralen Steuerungsgröße avanciert. Allein zwischen 2019 und 2022 sollen 23 Mrd. Euro an frei verfügbaren Mitteln erwirtschaftet werden.Wie unterkühlt das Verhältnis zu den Investoren mittlerweile ist, zeigt sich auch darin, dass die Aktionäre den Vorstand in der kommenden Hauptversammlung lediglich zum Rückkauf eigener Aktien ermächtigen sollen. Auf die Schaffung eines neuen Kapitalrahmens, ein bei großen Kapitalgesellschaften durchaus übliches Prozedere, muss Bayer nolens volens verzichten. Die Schmach eines abgeschmetterten Vorratsbeschlusses will die Verwaltung verständlicherweise vermeiden.Bayer hat sich mit der Übernahme angreifbar gemacht. Nachdem sich der Konzern 2014 nach langem Zögern endlich zur Trennung vom Kunststoffgeschäft entschlossen hatte, wurde der Aktienkurs zum letzten Bollwerk gegen feindliche Übernahmeattacken. Der Kurssturz aber hat Aktionärsaktivisten auf den Plan gerufen. Diese machen in der Aufspaltung in einen Agrarchemiekonzern und ein Gesundheitsunternehmen wohl nicht ganz zu Unrecht Wertsteigerungspotenzial aus. Und so grotesk es auch klingen mag: Die Glyphosatprozesse sind vor diesem Hintergrund der eigentliche Schutzschirm gegen feindliche Attacken. Denn solange unklar ist, wie viel das Abarbeiten des Prozessbergs am Ende kostet, dürften selbst Aktionärsaktivisten vor einem größeren Engagement zurückschrecken.—–Von Annette BeckerBayer hat sich mit der Übernahme von Monsanto angreifbar gemacht. Der Aktienkurs fällt als Bollwerk gegen Attacken vorerst aus.—–